Magdeburger Urteil schockiert die Opfer
Nur vier von neun Angreifern für Überfall auf Bernburger Imbissbetreiber bestraft
Ein ominöser Knüppel machte den Unterschied. Weil das Magdeburger Landgericht nicht ausschließen wollte, dass sich der nur Minuten später fast zu Tode geprügelte Aburrahman E. am Abend des 21. September 2013 mithilfe eines Stocks gegen Pöbeleien einer Gruppe Nazis zur Wehr zu setzen suchte, wurden am Freitag nur vier der Täter zu Haftstrafen zwischen fünf Jahren sowie acht Jahren und zwei Monaten verurteilt. Dagegen wurden fünf Mitangeklagte freigesprochen. Den Verurteilten wurde lediglich versuchter Totschlag an dem Imbissbetreiber vom Bernburger Bahnhof zur Last gelegt, nicht versuchter Mord. Das wäre möglich gewesen, wenn die Tat als wesentlich von Ausländerfeindlichkeit motiviert eingeschätzt würde. Der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg sagte, derlei Motive hätten bei dem Übergriff zwar »mitgeschwungen«, man könne aber nicht zweifelsfrei nachweisen, dass sie auch das »tragende Motiv« gewesen seien.
Die Opfer des Überfalls, zu denen neben dem 34-jährigen E. auch seine von den Nazis am Tatabend rassistisch beschimpfte Freundin und ein aus Pakistan stammender Bekannter gehören, reagierten entsetzt. »Das ist ein Schock für sie«, sagte Antje Arndt von der Mobilen Opferberatung des Vereins »Miteinander«, »damit haben sie nicht gerechnet«. Das Urteil bedeute, dass die Richter den Opfern »nicht glauben«. Sönke Hilbrans, der E. als Nebenkläger vertrat, nannte es »sehr unverständlich«, dass Rassismus als Ausschlag gebendes Motiv nicht erkannt worden sei: »Wenn man die Opfer nicht als Ausländer identifiziert hätte, wären sie nicht angegriffen worden.«. Ob die Nebenklage in Revision geht, hänge unter anderem von der Reaktion der Staatsanwaltschaft ab. Diese hatte eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags für alle neun Angeklagten gefordert.
Das Gericht hatte es nach zehnwöchiger Beweisaufnahme als erwiesen angesehen, dass Mitglieder der Gruppe, die der Schönebecker Naziszene angehören, an jenem Tag einen Junggesellenabschied gefeiert hatten und nach 21 Uhr mit dem Zug nach Bernburg gekommen waren, zunächst den Imbissbetreiber und seine Freundin beschimpften. Dann eskalierte die Lage blitzschnell. Einer der Angreifer warf zunächst eine Bierflasche mit voller Wucht an E.s Kopf. Nachdem dieser zu Boden gegangen war, traten er und drei Mittäter teils von oben auf dessen Kopf ein. Sie hätten »den Tod billigend in Kauf genommen«, sagte Sternberg. Dass der Imbissbetreiber überlebte, war nur einer Notoperation zu danken. Allerdings trug er andauernde Schäden davon. Unter anderem ist ein Auge schwer in Mitleidenschaft gezogen.
Vom Vorwurf des versuchten Mordes, den die Kammer mit einem rechtlichen Hinweis vor Beginn der Hauptverhandlung selbst ins Spiel gebracht hatte, rückte sie aus zwei Gründen wieder ab. Zum einen habe es sich um eine spontane und nicht um eine geplante Tat gehandelt. Vor allem aber habe man »nicht ausschließen können«, dass E. einen Knüppel aus seinem Geschäft geholt habe, um sich zur Wehr zu setzen. Sternberg verwies auf Aussagen eines Zeugen, der den Vorfall vom Bahnsteig aus beobachtete. Zwar sei nicht auszuschließen, dass der Mann, dem die Gruppe zuvor im Zug ein Bier spendiert hatte, diese entlasten wollte. Zugleich blieben aber auch Zweifel an den Aussagen der Opfer. »Der Sachverhalt blieb schwammig«, sagte der Richter. Opferberaterin Arndt bezeichnete es dagegen als »völlig lebensfremd«, dass E. auf die Beleidigungen mit einem Knüppel habe reagieren wollen, zumal er zuvor versuchte, die Lage zu entschärfen. Auf erste Beleidigungen entgegnete er: »Macht mal bisschen Multikulti«. Es waren die Täter, die daran kein Interesse hatten.
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