Roma-Hetze mit richterlicher Genehmigung
Ein Verbot der Bürgerwehr »Ungarische Selbstverteidigung« scheiterte
Hochoffiziell ist es der politischen Bewegung »Ungarischen Selbstverteidigung« nun erlaubt, ihre rassistischen und demokratiefeindlichen Aktivitäten fortzusetzen. Ein Antrag auf Verbot der Organisation beim Gerichtshof der im Südosten des Landes gelegenen Stadt Gyula scheiterte kürzlich. Mehr noch: Richterin Dr. Erika Mucsi teilt die Weltsicht der »Ungarischen Selbstverteidigung«.
Die Gruppierung ist eng verbunden mit der berüchtigten »Ungarischen Garde«, einer Privatarmee der rechtsradikalen faschistoiden Partei Jobbik nach SA-Muster. Diese Gruppierung war 2009 verboten worden. So gut wie in derselben Stunde wurde die »Neue Ungarische Garde« ins Leben gerufen, die bis zum heutigen Tage ungestört ihren rechtsradikalen, rassistischen und homophoben Machenschaften nachgeht. Ähnlich wie ihre Vorgängerin betreibt sie eine permanente antijüdische und gegen die Roma-Bevölkerung gerichtete Propaganda. Aus dieser »Neuen Ungarischen Garde« heraus etablierte sich 2010 der »Bürgerwehrverein für eine schönere Zukunft«, umbenannt seit Januar 2013 in »Ungarische Selbstverteidigung für eine schönere Zukunft«. Zum Ziel setzt sich diese Gruppierung ganz öffentlich und ungestört »das Ungarntum vor der Zigeunerkriminalität und dem Zigeunerterror zu schützen«.
Die Organisation erlangte ein Jahr nach ihrer Gründung mit ihrer gegen die Roma-Bevölkerung gerichteten Hass- und Einschüchterungskampagne in der Kleingemeinde Gyöngyöspata landesweiten Ruhm. Dort wurden »die Zigeuner« systematisch beschimpft und waren Morddrohungen wie »Euch wird die Kehle durchgeschnitten« ausgesetzt, die Kinder trauten sich nicht mehr in die Schule, im Dorfladen wurden Roma am Einkaufen gehindert und nachts konnten die Verfolgten aus Angst vor Anschlägen nicht schlafen. Die Schikanen dauerten einen ganzen Monat an. Die Polizei sah tatenlos zu, denn die Bürgerwehr sei in Ungarn eine legale Organisation.
Der nunmehrige Auflösungsantrag wurde von Richterin Mucsi mit der Begründung abgewiesen, dass »das Spazierengehen im öffentlichen Raum« nur in außerordentlichen Fällen zu beschränken sei. Beim Aufmarsch in von »Zigeunern« bewohnten Gegenden handele es sich nicht um einen solchen Fall. Das Urteil befleißigt sich der Abqualifizierung von Rechtschutzorganisationen als »Stimmungsmacher«. Die Richterin macht sich gar mit den Rechtsradikalen gemein: »Das ›Zigeunertum‹ als Kategorie ist nicht in erster Linie als Rasse zu verstehen, sondern als die so bezeichnete Lebensform einer sich absondernden Gruppe der Bevölkerung, die die traditionellen und durch Rechtsvorschriften geschützten Werte der Mehrheitsgesellschaft negiert; es handelt sich um eine gewisse arbeitsscheue Lebensform und Anhänger einer moralischen Auffassung, die das Privateigentum und die Normen des Zusammenlebens missachten.« Auch der Begriff der »Zigeunerkriminalität« fand richterliche Anwendung: »Die Tatsache darf nicht verschwiegen werden, dass im Kreis der Straftäter der Anteil jener, die von Zigeunern abstammen, verhältnismäßig hoch ist.«
Wohlgemerkt handelt es sich hier um den Spruch einer Richterin, also ein Dokument des ungarischen Staates, und nicht um die Privatmeinung eines Nazis. Bislang hat sich kein einziger Politiker von diesem Urteilsspruch distanziert. Aus den Reihen der Sozialistischen Partei (MSZP) hat lediglich die »Roma Plattform« protestiert. Die Richterin geht ihrem Beruf aber unbehelligt weiter nach.
Als der ungarische Dauerministerpräsident Viktor Orbán 2010 an die Macht gekommen war, gehörte zu seinen ersten Maßnahmen die Zwangsverrentung älterer Richter. Unverhohlen ging es dabei darum, die alten »Linken« und sonstige unliebsame Kräfte aus der ungarischen Rechtsprechung zu entfernen und den Richterstand mit eigenen Parteigängern zu durchsetzen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.