Weniger Zusammenhalt im Osten
Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt Defizite in den neuen Ländern
Der Ossi meckert gern, ist undankbar und nun auch noch weniger am Gemeinwohl orientiert als seine Landsleute im Westen. Zumindest ist das ein Ergebnis der am Montag veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. Demnach landen die fünf neuen Länder auch auf den fünf letzten Plätzen des Rankings. Am größten ist der Zusammenhalt im reichen Hamburg, dicht gefolgt von Baden-Württemberg, ganz unten finden sich Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.
Doch warum sind die vermeintlich egoistischen Wessis solidarischer? »Je höher das Bruttoinlandsprodukt eines Bundeslandes, je niedriger das Armutsrisiko, je urbaner das Wohnumfeld und je jünger die Bevölkerung, desto höher der Zusammenhalt«, meint Ko-Autor Kai Unzicker von der Jacobs University in Bremen.
Im Umkehrschluss heißt das: Je ausgeprägter die soziale Schieflage, desto geringer der soziale Zusammenhalt. So ist es kein Wunder, dass die Autoren gar eine wachsende Kluft zwischen Ost und West ausmachen. Die Bertelsmann-Forscher haben dafür Sekundärdaten der Jahre 1990 bis 2012 ausgewertet. Das heißt, man verzichtete auf eine eigenständige Befragung, sondern sichtete Material aus anderen Erhebungen wie dem Eurobarometer oder dem Portal der Statistischen Landesämter.
Dieser Langzeitvergleich zwischen allen 16 Ländern belegt, dass sich der Zusammenhalt in Thüringen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern seit 1990 verschlechtert hat. Die Bertelsmann-Stiftung nennt das »Abwärtstrend«. In Brandenburg konnte man sich nach Einbrüchen wieder auf dem Wendeniveau stabilisieren. Sachsen-Anhalt wiederum »befindet sich seit 1990 konstant in der Schlussgruppe«. Trotzdem kommen die Autoren zu dem Schluss, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt seit 1990 gestiegen sei. Wenn auch im Osten langsamer.
Allerdings rudern die Forscher etwas zurück. So bleibe der »positive Zusammenhang« zwischen Zusammenhalt und florierender Wirtschaft auch dann bestehen, »wenn man den Ost-West-Faktor kontrolliert«. Sprich: Egal, ob Ost oder West: »Für beide gilt gleichermaßen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt dort höher ist, wo es den Menschen wirtschaftlich besser geht.« Im prosperierenden Dresden stellt sich die Lage also anders dar als in Pasewalk oder Suhl.
Doch was versteht man bei der wirtschaftsliberalen Bertelsmann eigentlich unter gesellschaftlichem Zusammenhalt? »Eine Gesellschaft mit starkem Zusammenhalt zeichnet sich durch enge soziale Beziehungen, emotionale Verbundenheit und ausgeprägte Gemeinwohlorientierung aus«, heißt es dazu im Studientext. Wobei sich etwa die sozialen Beziehungen noch einmal aufgliedern in »soziale Netze«, »Vertrauen in die Mitmenschen« und »Akzeptanz von Diversität«. Gerade die Akzeptanz des Andersseins habe sich in Deutschland verbessert, unterstreichen die Studienautoren in ihrem Fazit.
So habe die Toleranz gegenüber Homosexuellen in den letzten 25 Jahren zugenommen. Auch bei den Zuwanderern habe sich einiges getan, auch wenn sich hier eine Akzentverschiebung abzeichnet. So betont Ko-Autor Unzicker, dass die grundsätzliche Skepsis gegenüber Immigranten abgenommen habe, dafür erwarte man aber, dass diese ihren traditionellen Lebensstil ausgeben: »Weniger Das-Boot-ist-voll-Parolen, aber mehr Anpassungsdruck«.
Dass die Ostdeutschen hier Fortschritte gemacht haben, bestätigt auch Reinhard Liebscher vom Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum Berlin-Brandenburg (SFZ) gegenüber »nd«. »Seit dem Jahr 2000 stimmen immer mehr Befragte der Aussage zu, dass Ausländer ihr Leben bereichern«, so Liebscher. Er muss es wissen, schließlich führt das SFZ seit 1989 in regelmäßigen Abständen Umfragen in Ostdeutschland durch. Die Ergebnisse landen auch im alljährlich erscheinenden »Sozialreport« der Volkssolidarität. Kommentar Seite 4
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.