Gewonnen, ohne zu siegen
SPD-Delegierte bestätigen Jan Stöß mit 68,7 Prozent als Landesvorsitzenden
Augen zu, einmal tief durchatmen, abhaken - weitermachen. Das dürfte die Devise sein, nach der der wiedergewählte Landesvorsitzende der Berliner SPD, Jan Stöß, jetzt weiter verfährt. Mit 68,7 Prozent (158 Ja-Stimmen, 55 Nein-Stimmen und 17 Enthaltungen) hatte der 40-jährige Verwaltungsrichter ohne Gegenkandidaten am Sonnabend im Berliner Estrel-Hotel kein überragendes, aber ein solides Ergebnis eingefahren. Dass es nicht 80 Prozent plus werden, wie Stöß' »Parteifreund« Raed Saleh in einem Interview mit der »taz« prognostiziert hatte, war bereits nach der 50-minütigen Rede, die Stöß weitgehend frei gehalten hatte, zu spüren gewesen.
Bei den anschließenden Stehenden Ovationen blieben einige Delegierte sitzen, auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und Fraktionschef Raed Saleh, über dessen Kandidatur gegen Stöß wochenlang in den Medien spekuliert worden war, erhoben sich nicht extra für den wiedergewählten Landesvorsitzenden, der in seiner Rede dagegen die Senatsmannschaft, aber auch den »Lieben Raed« und die Fraktion ausdrücklich gelobt hatte.
Doch trotz atmosphärischer Störungen und des mäßigen Ergebnisses ist die Wiederwahl für Stöß sicher ein Erfolg - auch wenn damit noch keine Vorentscheidung über eine Nachfolger des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit gefallen ist, sollte dieser angesichts seiner anhaltend miesen Umfragewerte auf eine erneute Spitzenkandidatur zur Abgeordnetenhauswahl 2016 verzichten.
Auf dem Landesparteitag selbst spielten diese Personalspekulationen allerdings höchstens am Rande eine Rolle. Inhaltlich ging es zunächst um die Europawahl. Als Redner zur europäischen Lage hatte sich die Genossen den ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Felipe González eingeladen. Der Sozialist und Freund von Willy Brandt kritisierte die »brutal ungerechten« Auswüchse der Finanzkrise, die in Spanien die Mittelschicht und Arbeiterklasse schwer getroffen haben. Auch den wachsenden Nationalismus griff González an. »Die Anti-Europäer geben nicht eine Antwort, um die Probleme zu lösen«, sagte er. Ähnlich hatte zu Beginn der Versammlung die Berliner Kandidatin der SPD für das EU-Parlament, Sylvia-Yvonne Kaufmann, gegen die »D-Mark-Professuren« und »BDI-Henkels« von der AFD argumentiert.
Neben Europa spielte auch der anstehende Volksentscheid über die Zukunft des Tempelhofer Feldes eine wichtige Rolle. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ergriff hierzu das Wort. »Wir sind für eine sinnvolle Randbebauung, damit die Menschen eine Wohnung bekommen«, sagte Wowereit. Dafür werde die Partei kämpfen. Scharfe Angriffe richtete der Regierende gegen die Initiative »100 Prozent Tempelhofer Feld«, der er »Verdummung« vorwarf. Die Position der oppositionellen Grünen, für eine Randbebauung zu sein, aber dennoch die Bürgerinitiative »100 Prozent Tempelhofer Feld« zu unterstützen, nannte Wowereit gar »schizophren«.
Am Ausgang der Europawahl und des Volksentscheides wird sich zeigen, wie stabil der Burgfrieden in der SPD tatsächlich ist. Der Landesvorsitzende Jan Stöß will die »Säulen« für das Wahlprogramm »Arbeit, Wirtschaft, Bildung und sozialer Wohnungsbau entwickeln«. Ein Mitspracherecht soll in diesem Prozess auch die Basis bekommen, die über die Inhalte befragt werden soll. »Nicht ich sage Euch, was das Wahlprogramm 2016 sein soll, sondern dass sagt ihr mir.« Wer sich so bei der Basis beliebt macht, dem liegt sicher auch eine Mitgliederentscheidung über die Spitzenkandidatur nicht fern - so weit sind die Genossen von der Berliner SPD aber noch nicht.
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