Die Regierungen haben versagt
In Bosnien-Herzegowina und Serbien wird vor allem die Untätigkeit der Politiker kritisiert
Schon eine Woche kämpfen Bosnien-Herzegowina, Serbien und Kroatien gegen das Hochwasser an, das den heftigsten Regenfällen der vergangenen 120 Jahre gefolgt ist. Allein in Bosnien-Herzegowina, so teilte Ministerpräsident Vjekoslav Bevanda mit, seien mehr als 20 Menschen ums Leben gekommen und fast eine Million evakuiert worden. Beide Teile des Landes haben gestern einen Tag der Trauer zelebriert.
Belgrad verhängte gleich drei Tage Staatstrauer wegen der 21 Hochwasseropfer in Serbien. Die meisten Menschen waren in der Stadt Obrenovac ertrunken. Mehr als 30 000 Bewohner mussten von dort evakuiert werden. Im Nachbarstaat Kroatien waren etwa 15 000 Menschen auf der Flucht vor dem Wasser. Insgesamt umfasst die überflutete Fläche in den drei Balkanländer fast 23 000 Quadratkilometer, ein Gebiet ungefähr so groß wie Mecklenburg-Vorpommern.
Die materiellen Schäden sind riesig: Der bosnische Außenminister Zlatko Lagumdžija sprach von mehr als 100 000 zerstörten oder schwerbeschädigten Häusern, Serbiens Ministerpräsident Aleksandar Vučić sprach sogar von »biblischen Maßstäben« der Flut. Ganze Städte liegen noch unter Wasser.
Besonders in Bosnien-Herzegowina und Serbien sind viele Menschen der Meinung, dass die großen Schäden die Unfähigkeit der jeweiligen Regierung beweisen. Einer der Unzufriedenen ist Aleksandar Trifunović, Chefredakteur des Internetportals Buka (Lärm) aus Banja Luka. Buka zählt zu den wenigen unabhängigen Medien im serbischen Teil Bosniens. Trifunović, der in den vergangenen Tagen selbst Hilfsgüter organisiert und transportiert hat, sagt, das Hochwasser zeige zum x-ten Mal die Unfähigkeit des ethnisch geteilten bosnischen Staates mit seinen insgesamt 14 Regierungen.
»Die Natur sorgt sich nicht um die Grenzen zwischen den bosnischen Entitäten. Wenn es eine gemeinsame Organisation für die Becken der Flüsse Save und Bosna gäbe, wären die Schaden erheblich geringer.« Am schlimmsten findet er, dass aus vorhergehenden Fluten nichts gelernt wurde: »Es gibt nicht genug Schutzdämme, unser Zivilschutz hat keine Ausrüstung«, klagt er gegenüber »nd«. Die Katastrophe habe sechs Tage angedauert, ehe die Regierung ihre erste Sitzung zum Thema abhielt, dort schoben sich Politiker gegenseitig die Verantwortung zu. Die Gefahr, dass Seuchen ausbrechen, steigt stündlich, die Wasserversorgung ist weiterhin instabil.
Am meisten haben die Bürger selbst geleistet, als es darum ging, die Folgen der Flut einzudämmen. Medien der ehemaligen jugoslawischen Staaten sind dieser Tage einhellig in ihrem Lob: Seitenweise gibt es Berichte über die lange nicht mehr erlebte Solidarität der Völker. Kroatien, das auch selbst betroffen ist, hat Rettungsteams und Hubschrauber nach Bosnien-Herzegowina geschickt. Sogar Kosovo, die abgespaltene ehemalige Provinz Serbiens, hat Belgrad Hilfe angeboten.
In Serbien wird das Vorgehen der Regierung ebenfalls kritisch gesehen. Einige Journalisten erinnern daran, dass zuständige Beamte schon vor Jahren die Regierung kritisiert hatten, weil die Finanzmittel für den Hochwasserschutz deutlich verringert worden waren. Schutzdämme sollen teilweise seit 20 Jahren nicht mehr erneuert worden sein. Das zur Verfügung gestellte Geld reichte nicht einmal für eine grundlegende Instandhaltung, vom Bau neuer Dämme ganz zu schweigen. In Belgrad geriet vor allem Bürgermeister Siniša Mali in die Kritik, weil er angeblich die Bürger der komplett überfluteten Stadt Obrenovac aufgerufen hatte, in ihren Häusern zu bleiben. Gleichzeitig wird dem Ministerpräsidenten Vučić vorgeworfen, er versuche, alle Verantwortung auf Lokalpolitiker abzuschieben - und zwar auf all jene, die nicht zu seiner Partei SNS gehören.
Der Schaden geht in die Milliarden, die drei Staaten haben bei internationalen Organisationen um Finanzhilfe gebeten. Vor allem für das chronisch klamme Bosnien-Herzegowina wird es schwer. Das Land, in dem es nicht einmal der Hälfte der Bevölkerung gelingt, mit ihrem Einkommen die Armutsgrenze zu überschreiten, kann sich nicht um EU-Hilfe bewerben, weil es weder Mitglied noch Kandidat ist. Immerhin hat die kroatische Außenministerin Vesna Pusić die Möglichkeit einer gemeinsamen Bewerbung erwähnt.
Mittlerweile wird die Flut auch propagandistisch genutzt: Irinej, Patriarch der serbisch-orthodoxen Kirche, hat die Katastrophe als eine göttliche Warnung bezeichnet - wegen der in Belgrad geplanten Schwulenparade »Gay Pride«. Der dem Patriarch untergeordnete montenegrinische Oberbischof Amfilohije nennt eine andere Schuldige: Conchita Wurst.
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