Russland nimmt Revanche
Mit seiner kompromisslosen Art hat Trainer Oleg Snarok die Sbornaja zum WM-Titel geführt
Plötzlich war Oleg Snarok doch auf dem Eis. Alexander Owetschkin herzte den frischgebackenen Weltmeistertrainer und rief seine Teamkollegen herbei, die ihn in die Luft warfen. »Er war der Kapitän auf unserem Schiff«, sagte der russische Eishockey-Superstar über den ehemaligen deutschen Zweitligaspieler, der die Sbornaja gerade zum 27. WM-Gold geführt hatte.
Snarok strahlte, mit der Goldmedaille um den Hals, über das ganze Gesicht, umarmte einen Weltmeister nach dem anderen. Auf der Ehrentribüne lächelte Staatspräsident Wladimir Putin gnädig. Nach 95 Tagen war die Schmach von Sotschi getilgt, mit dem 5:2-Finalsieg in Minsk hatte der Rekordweltmeister erfolgreich Revanche an Finnland für die bittere 1:3-Pleite im olympischen Viertelfinale daheim genommen.
Mit 640 044 Besuchern hat die Eishockey-Weltmeisterschaft in Minsk einen Zuschauerrekord aufgestellt. Im Schnitt sahen 10 000 Fans die 64 Spiele der 78. WM. Die bisherige Bestmarke hatte die WM 2004 in Prag und Ostrava mit 552 097 Zuschauern aufgestellt. Damals wurden nur 56 Spiele ausgetragen.
Torwart Pekka Rinne von Vizeweltmeister Finnland ist von den Journalisten zum besten Spieler des Turniers gewählt worden.
Wiktor Tichonow ist der WM-Scorerkönig. Der 26-jährige Russe erzielte beim 5:2-Finalsieg sein achtes Tor. Zusammen mit acht Vorlagen kam er auf 16 Punkte. nd/SID
Der Vater des Sieges hätte eigentlich gar nicht mitfeiern dürfen. Snarok war für das Endspiel gesperrt worden, weil er im Halbfinale mit einer Halsabschneider-Geste für einen Eklat gesorgt hatte: Gegenüber dem schwedischen Co-Trainer Rikard Grönborg hatte er mit der rechten Hand angezeigt, die Kehle durchzuschneiden. Der Kontakt zur Mannschaft war ebenso verboten wie die Teilnahme an der Siegerehrung. Den 51-Jährigen scherte es wenig. Mit Knopf ihm Ohr saß er zunächst auf der Tribüne, während sein lettischer Assistent Harijs Vitolins, ebenfalls verkabelt, auf der Bank coachte. Dann jubelte er inmitten seiner Spieler auf dem Eis - vor den Augen des Weltverbandspräsidenten René Fasel.
»Es ist mir egal, ob er auf dem Eis war, dazu will ich nichts sagen«, meinte der finnische Trainer Erkka Westerlund lapidar. Vitolins gab zu: »Ich musste nicht viel ändern, es war alles geregelt, und die Mannschaft wusste, was zu tun war.« Seine folgenschwere Geste hatte Snarok schon vor dem Finale als Lappalie abgetan: »Ich hatte Halsschmerzen. Hier gibt es keine guten Mittel dagegen.«
Dass er selbst ausgerechnet bei seinem größten Triumph für Misstöne sorgt, passt zu Snarok. Der ehemalige Stürmer mit deutschem Pass hat sich nie viel aus Konventionen gemacht. Eine mögliche NHL-Karriere verschenkte er, weil er - mangels Englischkenntnissen - das von den Boston Bruins angebotene Monatsgehalt für ein Jahressalär hielt, »die Summe war zu klein«. In Deutschland spielte er nur in der zweiten Liga, weil er für die DEL »sehr viel hätte arbeiten müssen. Darauf hatte ich damals keine Lust mehr.« Und als Trainer der lettischen Nationalmannschaft sah er bei fünf Weltmeisterschaften und den Olympischen Spielen 2010 mit langen Haaren und Schnäuzer aus wie ein windiger Gebrauchtwagenhändler.
Dass er auch ein hervorragender Trainer ist, bestätigte Owetschkin. »Er hat uns auf den richtigen Weg gebracht«, sagte der NHL-Torschützenkönig, »wir haben für ihn gekämpft.« Snarok, erst seit Ende März im Amt, hat aus den großartigen Individualisten ein Team geformt, das taktisch diszipliniert spielt und konsequent nach hinten arbeitet. Nur zehn Gegentore in zehn WM-Spielen sprechen eine deutliche Sprache. Auch die Superstars Owetschkin und Jewgeni Malkin ordneten sich unter, hielten sich strikt an die Vorgaben. »Er redet klar und sehr viel mit uns«, sagte WM-Scorerkönig Wiktor Tichonow, »er ist in der Kabine sehr deutlich.« Mit seinen Gesten auch. SID
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