Patriarchalische Strukturen hemmen die Entwicklung

Münchner Filmfestival beleuchtete Schicksale von Frauen im Globalen Süden

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.
Das DOK.fest München zeigte Frauen, die die Armut bezwingen könnten - wenn die Männer nicht wären.

Wer Filmfeste besucht, wird feststellen, wie Filme sich dort unerwartet gegenseitig kommentieren und in der Zusammenschau mehr ergeben als je einzeln. Ein Indiz für gute kuratorische Arbeit, aber auch dafür, was an Problemen gerade aktuell ist. Eines der Themen, die beim DOK.fest München in den Vordergrund drängten, war die Situation von Frauen in patriarchalischen Gesellschaften - weltweit. Kein neues, kein brisant aktuelles Thema, sondern ein langlebiges strukturelles Problem, aber selten in einem so nachdrücklichen kollektiven Aufschrei zu erleben wie hier.

Drei Filme insbesondere gaben Frauen ein Megafon, deren Stimme oft ungehört verhallt - wenn sie sie überhaupt noch zu erheben wagen. Einer tibetischen Straßenverkäuferin in Peking, die vor dem brutalen Schwiegervater floh, in »Nowhere to Call Home« (Nirgends zuhause) von Jocelyn Ford. Einer jungen Tamilin, die mit 14 vor der Zwangsverheiratung weglief, im norwegischen »Light Fly, Fly High« (Fliegengewicht, heb‘ ab) von Beathe Hofseth und Susann Østgaard. Und einer Marokkanerin, die als Teenager vergewaltigt und von der Familie verstoßen wurde, im europäisch finanzierten »Dance of Outlaws« (Tanz der Außenseiter) von Mohamed El Aboudi.

El Aboudis Film ist der einzige, in dem religiöse Bigotterie zum Schicksal der Protagonistin ausdrücklich beiträgt. Die verwitwete Bauerntochter Zanta aus Tibet mag mit ihrem schlechten Karma hadern und Gewissensbisse haben, weil sie ihren Sohn mitnimmt nach Peking, obwohl er der einzige männliche Erbe ihres Schwiegervaters ist und ihn nach buddhistischem Brauch einst bestatten müsste. Ihr eigentliches Problem aber ist die selbstherrliche Autoritätsanmaßung, mit der der Schwiegervater ihre und ihres Sohnes Ausweise zurückhält. Eine tibetische Straßenverkäuferin hat es schwer in China, zumal seit tibetische Unabhängigkeitsbestrebungen die chinesische Presse bewegen.

Ohne Papiere ist es unmöglich, auch nur eine Einzimmerhütte zu mieten. Bei jeder Razzia hat Zanta es doppelt schwer. Eine Reise zurück nach Tibet erweist, dass auch ihr Heimatdorf keine Zukunft bietet: Ihr Elternhaus wird der Schwager erben, der einzige jüngere Mann in der Familie. Von klein auf werden hier die Söhne verwöhnt und die Töchter drangsaliert, bricht es aus Zanta heraus, und überhaupt sei es besser, tot zu sein als ein weibliches Schicksal zu erdulden. Die Erzählerstimme der Regisseurin ergänzt den Ausbruch durch Fakten: Mehrere Frauen der Familie haben Selbstmordversuche hinter sich.

Thulasi hatte in Chennai Glück im Unglück: Sie fand eine Pflegefamilie, die ihr die Box-Ausbildung bezahlte, für die sie Willen und Talent mitbringt. Einziges Problem: Der Kader der Boxsportvereinigung erwartet sexuelle Gegenleistungen für jeden Wettkampf. Ohne Wettkämpfe keine Karriere - also beginnt auch die Pflegefamilie, nach einem Mann für Thulasi zu suchen. Die Ehe wird geschlossen, der Ehemann erweist sich als Tyrann, Thulasi bleibt nur die Unterwerfung - oder Trennung. Die Worte, mit denen sie unter Tränen ihr Schicksal als Gefangene gesellschaftlicher Zwänge beschreibt, gleichen denen von Zanta bis zum letzten Komma.

Hind, die eigentlich nicht Hind heißt, ist von den dreien am schlechtesten dran. Ohne Ausweis (den behielt auch hier die Familie) und ohne soziales Ansehen, ohne Ausbildung oder familiären Rückhalt, schlägt sie sich als Tänzerin bei Hochzeiten durch, keinen halben Schritt von der Prostitution entfernt. Ohne Hasch erträgt sie ihren Alltag nicht, Wohnung oder Arbeit zu finden ist ohne Mann und Ausweis unmöglich, zwei ihrer drei Kinder leben nicht mehr bei ihr. Trotzdem hofft auch sie noch immer auf ein besseres, ein endlich selbstbestimmtes Leben.

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