Kein Plan bei Sitzblockaden

Der Polizeieinsatz am 8. Mai in Demmin offenbart eklatante Schwächen der Nordost-Polizei

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Einsatz gegen eine Sitzblockade sorgt weiter für Protest. Offenbar hat die Landespolizei kein Konzept für den Umgang mit solchen Aktionen, die ausdrücklich dem Grundrechtsschutz unterliegen.

Den Polizeieinsatz am 8. Mai in Demmin würde das dafür verantwortliche Schweriner Innenministerium am liebsten sofort zu den Akten legen. Die Nordost-Bereitschaftspolizei hatte einen französischen Demonstranten, der sich an einer Sitzblockade gegen den dort alljährlich zum Tag der Befreiung vom Faschismus stattfindenden Nazimarsch beteiligt hatte, so sehr malträtiert, dass dieser das Bewusstsein verlor und auf dem Weg ins Greifswalder Universitätskrankenhaus zeitweilig ins künstliche Koma versetzt werden musste.

Die Polizei rechtfertigte ihr aggressives Vorgehen mit der angeblich hohen »Gewaltbereitschaft« der Gegendemonstranten, was freilich von Augenzeugen in Zweifel gezogen wird. Das Opfer der Polizeiattacke hat Klage eingereicht, nun versuchen oppositionelle Politiker und Bürgerrechtsaktivisten, diesem Einsatz ein möglichst denkwürdiges »Nachspiel« hinzuzufügen.

Die jüngste Initiative in dieser Richtung kommt vom in Köln ansässigen »Komitee für Grundrechte und Demokratie«. Das Komitee wendet sich nun in einem Brief an Innenminister Lorenz Caffier (CDU) und Angela Merkel, die in der Region ihren Wahlkreis hat - auf Bitten der Schweizer Bürgerrechtsorganisation »Centre Civique Européen«. Man sei »erschüttert, dass es bei Protesten gegen eine Versammlung von Neonazis (...) zu solch eskalierter staatlicher Gewalt kommen kann. Eine Aufklärung des Geschehens ist dringend geboten«, so das Komitee.

Die Liste der monierten Verstöße ist lang: unverhältnismäßige Zugangskontrollen, illegale Leibesvisitationen bei ausgewiesenen Journalisten, der praktische Ausschluss derselben von der Beobachtung des Nazimarsches, das gewaltsame Vorgehen gegen Sitzblockaden ohne vorherige polizeiliche Auflösung derselben, der Einsatz von Pfefferspray und Polizeihunden gegen friedliche Demonstranten, eine Einkesselung von etwa einer Stunde Dauer. Und natürlich die Gewalt gegen den französischen Staatsbürger, der nach verschiedenen Augenzeugenberichten in Fesseln brutal zu Boden gebracht wurde und der daraufhin das Bewusstsein verlor - wobei Beamte Hilfsangebote brüsk zurückwiesen, was durch Augenzeugenaussagen sowie im Internet kursierende Videos eindeutig belegt scheint.

»Bitte sorgen Sie für Aufklärung über das polizeiliche Vorgehen«, appelliert nun das Grundrechtekomitee an Merkel und Caffier. Es müsse aufgedeckt werden, wer für dieses Einsatzkonzept verantwortlich war und wie »ein solches Grundrechte verletzendes Vorgehen« möglich geworden sei. Die Verantwortlichen für »den Einsatz gegen den Franzosen« seien »zur Rechenschaft zu ziehen«.

Im Schweriner Landtag drängt der LINKE-Innenexperte Peter Ritter auf »rechtliche Konsequenzen« aus dem Polizeifiasko. Ritter hat eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt, in der er unter anderem wissen will, warum es für die Nordost-Polizei »keine Dienstanweisungen für den Umgang mit Sitzblockaden und anderen Formen des zivilen Protests gibt« - anders als in den meisten Bundesländern.

Gerichte haben die Rechte von Teilnehmern solcher Blockaden unlängst gestärkt. So urteilte das OLG Münster 2012, dass »auch solche Versammlungen, bei denen die Teilnehmer ihre Meinungen (...) in Form einer Sitzblockade (...) zum Ausdruck bringen«, ganz ausdrücklich dem verfassungsmäßigen Grundrechteschutz unterliegen, sofern von ihnen keine Gewalt ausgeht. »Es genügt hingegen nicht, dass es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen«, so das Oberlandesgericht.

Caffier verteidigt bisher die Polizei mit dem Hinweis auf Gewalt durch die Gegendemonstranten. Die hoffen nun auf eine Situation, in der diese Behauptung des Ministers handfest bewiesen werden müsste.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.