Volmer: Grüne drohen »im Mainstream abzusaufen«

Früherer Parteichef kritisiert Profillosigkeit / Realos machen gegen Trittin Front / Debatte über Steuerpolitik auf dem Länderrat

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Berlin. Während die Grünen in Berlin auf einem Kleinen Parteitag eine neue Programmdebatte über künftige Positionen der Partei gestartet haben, hat der frühere Parteivorsitzende Ludger Volmer deutliche Kritik am Kurs geäußert. Die Grünen hätten nie eine Partei links von sich zulassen dürfen. »Schon gar keine, in der ehemalige Grüne und SPD-Fundis im Bunde mit Linksnationalisten Koalitionen sabotieren können«, so Volmer in einem Beitrag für das Magazin »Focus«. Die Grünen würden unter der Losung »ökoliberal statt sozialökologisch« als »Auffangbecken für den Sozialprotest nun« ausfallen. »Rot-Grün wird im Bund keine Mehrheit mehr haben. Nie mehr«, so der frühere Staatssekretär und langjährige Vertreter der gemäßigten Linken bei den Grünen.

Volmer kritisierte, seine Partei würde »Opposition als Personal Coaching für die Kanzlerin« betreiben und habe ihr Profil verloren. »Man stimmte der Linie der Kanzlerin zu, selbst bei identitätsstiftenden Megathemen – Atomausstieg, Bankenrettung, Freiheit für Timoschenko. Nicht falsche Politik warf man Merkel vor, sondern mangelndes Temperament«, so Volmer. »Im Umkehrschluss: wenn sie CDU-Politik nur munterer machen würde, wäre alles okay.« Die Grünen würden auf Bundesebene von »guten braven Fachpolitikern« dominiert. »Gesellschaftspolitische Generalisten und Strategen« seien hingegen abgedrängt worden. »Wenn die Grünen den Mittelweg gehen, drohen sie im Mainstream abzusaufen.«

Inzwischen berichtet der »Spiegel«, Grünen-Politiker vom so genannten Realo-Flügel seien »verärgert über Jürgen Trittin«. Vor dem Hintergrund der Debatte um die angebliche Führungsschwäche der Spitzen-Grünen um Simone Peter und Anton Hofreiter werde »ein Comeback-Versuch des Ex-Fraktionsvorsitzenden befürchtet«. Verwiesen wird dazu auf eine »starke Präsenz in den Medien«, wie der »Spiegel« berichtet. »Es wäre von Vorteil, wenn Jürgen Trittin weniger dominant auftreten und der neuen Spitze den Raum geben würde, sich in politischen Debatten zu positionieren«, wird die Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz zitiert. Der Bayern-Grüne Dieter Janecek sagte, »nach außen muss sichtbar sein, wer führt und wer nicht«. Auf Missfallen beim so genannten Realo-Flügel stoße demnach auch, dass sich Trittin »in wichtigen Fragen etwa zur Rente oder zur Ukraine gegen die Linie der Bundestagsfraktion« positioniere, wie das Magazin meldet.

Derweil hat die Grünen-Vorsitzende Simone Peter ihre Partei davor gewarnt, sich auf den jüngsten Ergebnissen bei Europa- und Kommunalwahlen auszuruhen. »Wir wollen mehr, und wir können mehr«, sagte Peter am Samstag auf einem kleinen Parteitag in Berlin. Die Grünen wollten auch in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stärker werden, sagte sie mit Blick auf die Landtagswahlen in diesem Jahr. Auf dem Länderrat startete die Partei eine neue Programmdebatte über künftige Positionen. Es geht um eine Neufassung des »Freiheitsbegriffs«, das Verhältnis von Ökologie und Ökonomie, die Armutsbekämpfung sowie um Ernährung, Gentechnik und eine Agrarwende. Die inzwischen an sieben Landesregierungen beteiligten Grünen streben für 2017 auch auf Bundesebene wieder eine Regierungsbeteiligung an.

Co-Parteichef Cem Özdemir sagte, nach dem schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl im September werde das Thema Steuern sicher nicht wieder dominierendes Thema der Grünen in Wahlkämpfen sein: »Wir werden gewählt, wenn wir die Kernkompetenzen in den Mittelpunkt stellen.« Dies sei das Jahrhundertthema Ökologie. Peter hatte zuvor vor unabgestimmten Vorstößen gewarnt. Über die künftige Finanz- und Wirtschaftspolitik der Grünen müsse in Ruhe debattiert werden. »Wir wollen zur Finanzpolitik eine geordnete, nach vorne gerichtete Debatte führen«, so die Grünen-Chefin. Intern solle heftig gestritten werden. Aber es dürfe keine Schnellschüsse über Medien geben wie vereinzelt kurz vor der Europawahl, kritisierte Peter. Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick sagte, mehr als 50 Prozent der Anhänger wüssten nicht, wofür die Grünen eigentlich stehen.

Die Wirtschaftsexpertin in der Grünen-Bundestagsfraktion, Kerstin Andreae, hatte Anfang April ein Umdenken ihrer Partei in der Steuerpolitik gefordert und damit heftigen Widerspruch vom linken Flügel der Partei sowie von führenden »Realos« kassiert. Es sei »an der Zeit, dass Grüne über Steuerpolitik diskutieren«, sagte die Bundestagsabgeordnete zum »Handelsblatt« und forderte zugleich, jetzt Schluss zu machen mit Forderungen nach höheren Steuern. Die Grünen sollten sich dagegen auf »einsparen, umschichten und systematisch Subventionen abbauen« drängen. nd/mit Agenturen

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