Besser anonym im »sicheren« Dnepropetrowsk
Vertreterin der KP der Ukraine sieht einen Ausweg aus der Krise in der Föderalisierung des Landes und Russisch als zweiter Staatssprache
Auch in Dnepropetrowsk, der Millionenstadt westlich des unruhigen Donezker Gebiets, sprechen 90 Prozent der Bewohner im Alltag russisch. Doch Dnepropetrowsk gilt als sicher. Nicht zuletzt »dank« Gouverneur Igor Kolomoiski, der nicht nur einer der reichsten Ukrainer ist, sondern mit seinem Geld auch eigene Milizen bezahlt, die für Sicherheit sorgen sollen. So sicher ist Dnepropetrowsk, dass unsere Gesprächspartnerin ihren Namen nicht in der Zeitung veröffentlicht haben will. Denn sie vertritt die Kommunistische Partei der Ukraine (KPU).
Nach ihrer Sicht auf die gegenwärtige Lage befragt, beklagt sie zunächst die wirtschaftliche Lage: »Die ukrainische Industrie liegt am Boden, wir haben unsere wirtschaftliche Souveränität verloren und schulden dem Internationalen Währungsfonds Milliarden.« Historisch sei die Ukraine ethnisch nie homogen gewesen. Doch in der unabhängigen Ukraine sei jeder akzeptiert worden, niemand sei danach beurteilt worden, wer seine Vorfahren waren und was sie getan hatten.
Erst ab 2004 hätten die Kiewer Politiker aktiv eine Spaltung betrieben. Die Regionen im Osten seien als »Roter Gürtel« bezeichnet worden, wegen der vielen Anhänger der KPU. Man habe versucht, den »Roten Gürtel« zu schwächen und zu zerstören.
Umso mehr gelte das jetzt, da die KPU die Übergangsregierung in Kiew entschieden kritisiere. Die habe versprochen, die Verfassung noch vor der Präsidentenwahl zu verändern und die Macht des Präsidenten zugunsten der des Parlaments zu beschneiden. »Aber das ist nicht geschehen. Und die Korruption ist eher noch schlimmer geworden als vorher«, sagt die Kommunistin.
Übergangspräsident Alexander Turtschinow hatte die KPU als »potenzielle Gefahr für die nationale Sicherheit« bezeichnet, er lässt die Möglichkeit eines Verbots prüfen. Die Dnepropetrowsker Kommunistin bestreitet die »Gefahr« energisch. Die KPU sei keine Partei von »Separatisten«, als die man sie darzustellen versuche. Die Regierung brauche aber offenbar einen Sündenbock, dem sie ihre Fehler zuschreiben könne. Kiew führe einen politischen Kampf gegen jene, die einen anderen Blickwinkel auf das Ziel des Regierens haben. Im Übrigen sei die KPU schon einmal verboten gewesen, aber sie habe überlebt und arbeite weiter, denn sie vertrete die Interessen der arbeitenden Mehrheit.
Sie selbst repräsentiere Tausende Menschen im Gebiet Dnepropetrowsk, sagt meine Gesprächspartnerin. »Wenn sie die KPU verbieten, nehmen sie allen diesen Menschen das Recht auf Meinungsäußerung.« Als sie selbst gewählt worden sei, habe die Partei kein Geld gehabt, Fernseh- oder Rundfunkwerbung zu betreiben oder große Werbeposter an jeder Ecke aufzustellen. Dennoch hätten die Leute die KPU gewählt. Die Anschauungen, Ideale und Bestrebungen Tausender Menschen könne man nicht per Gesetz verbieten, auch wenn man sie aus dem öffentlichen Leben verbanne. »Gegenwärtig herrscht in der Ukraine absolut keine Demokratie. Welche demokratische Regierung würde die per Verfassung garantierte Freiheit der Rede und der friedlichen Versammlung verbieten? Tatsächlich finden wir uns unter dem Banner der Demokratie in einer Diktatur.«
Derzeit habe es die Partei zweifellos schwer, eben wegen ihrer harten Kritik an der Kiewer Regierung. KPU-Mitglieder wurden verprügelt, einige ermordet, Parteibüros wurden in Brand gesetzt. Es herrsche eine Atmosphäre der Angst. Der KPU-Vorsitzende Petro Simonenko, der auch als Präsidentschaftsbewerber angetreten war, wurde nach einer Fernsehdebatte körperlich attackiert. Er habe schließlich kurz vor der Wahl seine Kandidatur zurückgezogen. »Das war keine Wahlkampagne, sondern ein Krieg um den Thron des Präsidenten«, sagte er. Allerdings blieb Simonenko auf den Wahlzetteln.
Mitglieder der Kommunistischen Jugend, die im Zentrum von Dnepropetrowsk Flugblätter verteilen wollten, wurden von einer anderen Jugendgruppe angegriffen und geschlagen. Die Polizei nahm jedoch nicht die Schläger fest, sondern die jungen Kommunisten.
Am 26. Mai, berichtete unsere Gesprächspartnerin, besetzten Männer mit schwarzen Masken und schwarzer Kleidung das KPU-Büro in Dnepropetrowsk. Erst nach zwei Tagen verließen sie das Gebäude, das völlig verwüstet worden war. Die Computer nahmen sie mit.
Die unmittelbare Zukunft der Ukraine sei unvorhersehbar, gesteht die Kommunistin. Ihre Partei schlage vor, alle Machtambitionen beiseite zu lassen und über die Föderalisierung, vor allem die wirtschaftliche Dezentralisierung des Landes zu sprechen. Das Amt des Präsidenten sollte am besten abgeschafft werden, und dem Russischen müsse der Status einer zweiten Staatssprache zugebilligt werden.
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