Brasilien im Formtief
Die Wirtschaft des Schwellenlandes verpasst den Aufstieg in die erste Liga - auch wegen der WM
Lange galt Brasilien als Champion unter den Schwellenländern, auf Augenhöhe mit dem rasant wachsenden Exportweltmeister China. In den Boomjahren seit der Jahrtausendwende wuchs die Wirtschaft jährlich um bis zu 7,5 Prozent. Boomende Metropolen, Getreide-, Soja- und Kaffeeanbau für die halbe Welt sowie riesige Erdölfunde vor der Küste des Bundesstaates Rio de Janeiro heizten die Spekulationen von Politikern, industriellen Investoren und Fondsmanagern rund um den Globus an.
Der brasilianische Millenniumsboom war von der Weltwirtschaft getragen worden: Wachstum im globalen Norden, steigende Bevölkerungszahlen sowie eine größere Nachfrage nach Fleisch und Fastfood in den wirtschaftlich aufstrebenden Entwicklungsländern beflügelten den Export von Eisenerzen und Agrarrohstoffen. Auf Kosten der Kleinbauern und des Regenwaldes. Heute ist China der wichtigste Handelspartner Brasiliens, vor den USA und Deutschland.
Doch die kriselnde Weltwirtschaft und seit 2011 im Trend sinkende Rohstoffpreise haben die Gewinne im Exportgeschäft hart getroffen. Das bremst auch ausländische Investitionen, die für die nachholende Modernisierung dringend benötigt werden. ThyssenKrupp erlitt mit seiner Stahlhütte in Santa Cruz doppelten Schiffbruch: Menschenrechtsorganisationen wie Medico International fordern eine Entschädigung für Fischer und Anwohner, die unter der Umweltverschmutzung leiden. Den Konzern kostete das Werk statt zwei rund acht Milliarden Euro.
Zu diesem Debakel trug die marode Infrastruktur das ihre bei. Ebenso wie zum Fall des deutsch-brasilianischen Unternehmers Eike Batista. Vor kurzem noch einer der reichsten Menschen der Welt, ging er im November mit Brasiliens Vorzeigekonzern, dem Energie- und Rohstoffgiganten EBX, Pleite. Telefon- und Internetverbindungen sind instabil, es fehlt an Bahnstrecken im Binnenland, Lastwagen kriechen über holprige Landstraßen und die Zufahrten zu den Häfen und diese selbst sind überlastet. Brasilien, so der Verband Deutscher Reeder (VDR), hänge in »der Infrastruktur-Falle« fest. Jahrzehntelange Versäumnisse seien nicht leicht aufzuholen.
Eröffnet wurde der Aufstieg am Zuckerhut einst von einer starken Binnennachfrage. Der sozialdemokratische Präsident Lula da Silva hatte seit 2003 zahlreiche Investitionsprogramme angeschoben, zu mehr Beschäftigung und höheren Löhnen beigetragen sowie die Nachfrage mit einem leichteren Zugang zu Verbraucherkrediten unterstützt. Doch das ständige Ankurbeln des Konsums greift nicht mehr recht: Viele Märkte scheinen gesättigt, die private Verschuldung ist hoch, und die Leitzinsen stiegen im April auf sagenhafte elf Prozent.
Auch sonst versäumte die Politik während des Lula-Booms manche Hausaufgabe. Für Transparency International ist Brasilen eines der korruptesten Länder überhaupt und die Bürokratie blüht. Wie die Massenproteste während des WM-Testlaufs im vergangenen Jahr zeigten, wurde der Aufschwung kaum für nachhaltige Verbesserungen genutzt: Schulen, Unis und Berufsausbildung, Gesundheit und öffentlicher Verkehr wurden vernachlässigt - derweil die auf Pump finanzierten Wagen der Mittelschicht die Metropolen verstopfen. Staatsversagen und hohe Kriminalität haben zu einem Wildwuchs privater Sicherheitsdienste geführt. Damit ist er nun einer der wichtigsten - aber auch unproduktivsten - Wirtschaftszweige Brasiliens.
Heute tritt das Schwellenland auf der Stelle: Trotz erhoffter WM-Konjunktur erwarten selbst Optimisten in diesem Jahr nur noch ein Wirtschaftswachstum von rund zwei Prozent. Aus deutscher Sicht mag eine solche Zunahme des Bruttoinlandsproduktes (BIP) noch respektabel erscheinen, doch erreicht das brasilianische BIP gerade mal zwei Drittel des deutschen - und in Brasilien leben 197 Millionen Menschen, in der Bundesrepublik nur 82 Millionen. Zudem wächst die Bevölkerung schnell.
Kaum helfen wird da die WM. Sie gilt dem Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) ökonomisch schon jetzt als Flop. Und pünktlich zu dem kostspieligen Turnier bedroht eine ungewöhnliche Trockenheit im Süden und Südosten nun auch noch die Stromversorgung Brasiliens. Was auch an der »Verwundbarkeit seines Energiesystems« liegt, wie die staatliche Wirtschaftsförderungsagentur Germany Trade & Invest anmerkt. Es basiere zu etwa 70 Prozent auf großen Wasserkraftwerken - mit oft zu kleinen Wasserspeichern.
Und doch hoffen viele Brasilianer auf eine Samba-Party spätestens nach der Präsidentenwahl im Oktober. Das Energieministerium von Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff verspricht Investitionen in die Stromerzeugung bis 2022 von 200 Milliarden Real (etwa 70 Milliarden Euro). Und das neue Hafengesetz sieht den Bau von 50 (!) Häfen vor. Im »Superporto Sudeste« nahe Rio sollen in wenigen Jahren die neuen Schiffsriesen der Chinamax-Klasse anlegen, die jeweils 400 000 Tonnen Eisenerz nach China transportieren können. Ambitionierte Ziele oder nur Größenwahn?
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