Ruderpartie um die Zukunft der EU
Anti-Juncker-Terzett und Merkel fanden keine Lösung im Streit um Besetzung des Kommissionsvorsitzes
Sie blieben im Bild, als sich die Regierungschefs der Niederlande, Großbritanniens und Deutschlands auf Einladung des schwedischen Premiers am Montag in einem Boot ablichten ließen. Sie wollten das Ruder an sich reißen und über die künftige Ausrichtung der EU beraten. Um Personalien sollte es nach wiederholten Beteuerungen auf dem Landsitz der schwedischen Regierung in Harpsund nur am Rande gehen.
Die Frage, wer neuer EU-Kommissionsvorsitzender wird, ist in der EU die derzeit am heftigsten diskutierte. Das neue EU-Parlament hält an seiner Forderung fest, dass Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), die aus der Wahl Ende Mai als stärkste Fraktion hervorging, von den EU-Staatenlenkern für die Wahl des Kommissionspräsidenten nominiert wird. Einzelne Mitgliedsstaaten lehnen dieses Vorgehen grundsätzlich ab und wollen einen eigenen Kandidaten ernennen. Im EU-Vertrag von Lissabon ist dazu festgehalten, dass der Europäische Rat das Wahlergebnis berücksichtigen soll.
Daran wollen sich nur wenige nicht halten, doch wie im Fall Großbritanniens, der Niederlande, Schwedens und auch Ungarns offenbar mit Vehemenz. Obwohl die Nominierung, die beim nächsten EU-Gipfel Ende Juni vorgesehen ist, mit einer qualifizierten Mehrheit vorgenommen werden kann, will es Bundeskanzlerin Angela Merkel offenbar nicht zu einer Kampfabstimmung kommen lassen. »Das Parlament ist in der Situation, dass der Rat einen Vorschlag zu machen hat. Und der Rat weiß, dass er anschließend die Stimmen des Parlaments braucht. (...) Wenn wir klug sind, dann respektieren wir uns doch als unterschiedliche Institutionen«, sagte Merkel am Dienstag. Die konservativen Juncker-Gegner scheint sie bei informellen Treffen wie jenem in Harpsund mit politischen Geschenken besänftigen zu wollen. So einigte sich das Quartett darauf, dass die EU für mehr Wachstum und Wettbewerb, den Abbau von Handelshemmnissen durch mehr Freihandel und die Fortentwicklung des digitalen Binnenmarktes sorgen soll. Außerdem sprachen sich die Regierungschefs gegen »Sozialmissbrauch« aus.
Der britische Premier David Cameron verwies erneut auf die offene Frage, ob sein Land mittelfristig in der EU bleibe. Die Entscheidung darüber träfen die Briten in einem Referendum 2017. Sein Einlenken war nicht zu erkennen. Stattdessen wächst nun der Druck auf Juncker. Im Umfeld Merkels sei von seinem möglichen »freiwilligen Verzicht« die Rede, berichtete die »Hannoversche Allgemeine Zeitung«. Der SPD-Bundesvize Ralf Stegner reagierte darauf scharfzüngig und warnte bei »Handelsblatt Online« vor einem »Putsch gegen das Ergebnis der Europawahl«. Juncker selbst meldete sich nicht zu Wort. In seiner letzten Twitter-Meldung vom 4. Juni heißt es: »Ich bin zuversichtlicher denn je, dass ich der nächste EU-Kommissionspräsident sein werde.«
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