Am Kernproblem vorbei
Es geht nicht um Pro oder Contra Europäische Union. Es geht um einen Diskurs sozialer und demokratischer Klassenauseinandersetzung. Antwort auf das ISM-Papier »Die ungelöste Eurokrise«
Bundestagsabgeordnete von SPD, Grünen und Linken haben vor wenigen Tagen in einem gemeinsamen Positionspapier einen Kurswechsel in der Euro-Politik gefordert. Veröffentlicht wurde der Text von Cansel Kiziltepe (SPD), Axel Troost (Linke) und Lisa Paus (Grüne) in der Reihe »Denkanstöße« beim Institut Solidarische Moderne (ISM). An dieser Stelle dokumentieren wir eine Reaktion von Ralf Krämer von der Linkspartei.
Liebe Cansel, liebe Lisa, lieber Axel,
In eurem Papier steht viel Richtiges drin. Das Kernproblem ist die Austeritätspolitik, die überwunden werden muss. Dabei könnte und müsste die EU und das EP eine wichtige Rolle spielen. Dagegen stehen aber die Politik der Troika und der Regierungen der Einzelstaaten und insbesondere Merkels. Rechtspopulismus profitiert von der Lage mit Anti-EU-Propaganda. Linke müssen dem entgegentreten, ohne die Gefahr von Rechts zu überhöhen. So weit so einverstanden.
Aber dann setzt Ihr dagegen vor allem ein Plädoyer gegen EU-Skepsis und für mehr Europa. Statt nüchterne Analyse schlägt das Papier damit in eine meines Erachtens unzureichend kritisch reflektierte, illusionäre und teils schiefe Haltung um. Denn meines Erachtens muss der Hauptfokus der linken Auseinandersetzung auf der Kritik und dem Kampf gegen die herrschende Politik in der EU und der EU liegen.
Das schließt notwendig ein eine harte Kritik an den Institutionen und Rechtsgrundlagen und Verordnungen der EU insbesondere zur Economic Governance. Und zwar sowohl ihrer mit einer bloßen graduellen Stärkung des EP nicht aufhebbaren Demokratieschwäche als auch und vor allem an ihrer neoliberalen Ausrichtung an den Interessen des insbesondere exportorientierten Kapitals. Es ist nicht antieuropäisch oder national-orientiert, sondern schlicht die Wahrheit demgegenüber festzustellen, dass die Grundlagen und Bastionen von Demokratie/Volkssouveränität und Sozialstaat und der sozialen und politischen Kräfte für demokratischen und sozialen Fortschritt und ihrer Mobilisierungsfähigkeit in den Einzelstaaten liegen und vor dort auf eine Veränderung der EU und ihrer Politik gerichtet werden müssen. Die Auseinandersetzung um die EU und Politik in der EU muss von links gedeutet werden als eine soziale und politische Auseinandersetzung um unterschiedliche/gegensätzliche Interessen und Konzepte, als eine Frage des Klassenkampfs, der sich da in abgehobenen und verschleierten Formen abspielt.
Nur so kann eine mit den negativen Erfahrungen der Menschen mit der EU und der herrschenden Politik verbundene und populär vermittelbare und internationalistische Alternative gegen den Rechtspopulismus entwickelt werden. Nur so können den Leuten alternative und plausible Deutungen, Schuldige, Alternativen und Akteure in ihrem Interesse aufgezeigt werden: nicht die faulen und undisziplinierten Südeuropäer sind schuld, sondern die Reichen und die Konzerne und die ihren Interessen dienenden konservativen und (neo)liberalen politischen Kräfte und Regierungen in der ganzen EU und EU-Kommission, und führend dabei die Deutschen, nutzen/missbrauchen die Krise für Abbau von Löhnen, Arbeitnehmerrechten und Sozialstaat in den Krisenländern und letztlich in ganz Europa.
Während die Reichen ungeschoren bleiben und immer reicher werden. Dagegen müssen Widerstand und Alternativen mobilisiert werden (Vermögensabgaben und Steuergerechtigkeit, Konzerne besteuern und Finanzsektor unter Kontrolle bringen, große Investitions- und Aufbauprogramme statt Kaputtkürzen und Privatisieren) und die dies vertretenden sozialen und politischen Kräfte gestärkt werden. Das alles kann gut verbunden werden mit dem Kampf gegen die Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TISA, weil da geht es ja um die gleichen Interessen, die auch in und mittels der herrschenden EU-Politik und ihrer immer neuen Liberalisierungsinitiativen von Dienstleistungsrichtlinie 2006 über Port-Packages, Entsende-, Konzessions- und Vergaberichtlinien bis REFIT vorangetrieben werden.
Wenn wir stattdessen gegen den Rechtspopulismus vor allem ein Hohelied auf die EU und die Forderung ihrer Stärkung setzen, werden wir dem weiteren Wachstum der Rechten nicht wirksam entgegentreten können und auch keinen Druck für einen Kurswechsel der Politik und Konstruktion der EU entwickeln können. Ich finde mehr Finanzen für die EU und eine Stärkung des Europäischen Parlaments richtig, aber das ist alles andere als eine mobilisierungsfähige Forderung und es reicht auch in der Sache nicht aus und geht am Kernproblem vorbei.
Erstens weil die Probleme der EU-Konstruktion viel tiefer liegen und ein viel grundlegenderer Neustart der EU nötig ist. Zweitens weil es von der politischen Ausrichtung abstrahiert, die aber der Kernpunkt ist. Das Europaparlament hat der ganzen neoliberalen und antisozialen Krisenpolitik und Governance zugestimmt mit breiter Mehrheit inklusive Sozialdemokraten und Grüne, und außer mitfühlenden Worten in Wahlkampfreden tun diese auch heute nichts dagegen, sondern tragen weiterhin alles mit, in der GroKo wie im Europaparlament. Selbst die »Linken« in diesen Parteien, wenn ich mir Sven Giegolds Stellungnahmen zu den Empfehlungen der Europäischen Kommission angucke, die nicht deren neoliberalen Inhalt, sondern die mangelnde transparente Aufbereitung und die mangelhafte Folgebereitschaft der Staaten kritisieren.
Was wäre unter diesen Bedingungen damit gewonnen, die EU zu stärken? Alles wäre nur noch weiter weg von demokratischer Einflussnahme (während die Kapitallobby in der EU noch stärkeren Einfluss hat als in den Einzelstaaten), noch mehr vermeintlicher »Sachzwang«, dazu noch von abstrakt pro-europäisch argumentierenden linken Kräften schon deswegen positiv begleitet und gegen Kritik abgeschottet, weil es von der EU kommt, die ja per se als etwas Gutes und Förderungswürdiges dargestellt wird, ganz egal was sie real treibt.
Eine solche politische Herangehensweise geht meines Erachtens klar absehbar nach hinten los. Im Sinne von gut gemeint, aber leider das Gegenteil befördernd. Wobei das »gut gemeint« in Bezug auf die in SPD und Grünen dominierenden Kräfte unzutreffend ist, weil die unterstützen ja bewusst die neoliberale Politik und Konstruktion der EU und wollen sie gegen Kritik immunisieren, indem sie diese in eine antieuropäische Ecke stellen. Wenn sich Linke daran beteiligen (damit meine ich jetzt nicht die VerfasserInnen des ISM-Papiers) und nicht sehr klar linke EU-Kritik als berechtigt und geradezu das Gegenteil des rechten Antieuropäismus verstehen und dies deutlich machen, lassen sie sich gegen ihren Willen instrumentalisieren für die Stabilisierung der neoliberal-kapitalistischen Herrschaft in der EU und in Europa.
Aussichtsreicher und geeignet realen Druck von links und von unten zu entwickeln scheint mir dagegen, die Debatte gerade nicht als Pro oder Contra Europa zu führen, sondern diesen Diskurs zu kritisieren und zu dekonstruieren und dagegen einen Diskurs sozialer und demokratischer Klassenauseinandersetzung aufzubauen, der allerdings eine linke, progressive, internationalistische und proeuropäische Kritik an der real existierenden EU einschließen muss. Als Drohpotenzial muss meines Erachtens sogar die grundsätzliche Haltung zur EU und die weitere Unterstützung der EU-Integration daran geknüpft werden, dass die herrschende Politik gestoppt und die EU in sozialem und demokratischem Sinne verändert wird. Wenn das die Haltung der europäischen Gewerkschaften und auch der Sozialdemokraten und Grünen würde, dann bestünde eine reale Chance, das Blatt zu wenden.
Leider ist auch das gegenwärtig wenig realistisch. Es wäre aber meines Erachtens der notwendige reale Inhalt einer alternativen politischen Konstellation in der EU und auch in Deutschland. Und die linken Kräfte allen Parteien sollten sich darüber klar sein und darauf hinwirken statt die Problemlage mit abstrakten Wunschformulierungen zu verdecken.
Herzliche Grüße
Ralf Krämer
Ralf Krämer ist Mitglied im BundessprecherInnen-Rat der Linkspartei-Strömung Sozialistische Linke und arbeitet bei der Gewerkschaft Ver.di. Dies ist eine ausschließlich persönliche Stellungnahme von ihm, die nicht mit Ver.di zu tun hat.
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