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Emran Feroz über Afghanistan und eine Präsidentschaftswahl, die alles nur schlimmer macht

  • Lesedauer: 3 Min.
Am Samstag wählt Afghanistan einen neuen Präsidenten. Doch ausgerechnet eine Wahl, die westliche Medien zum Prüfstein für die Demokratie im Land stilisieren, könnte den nächsten Krieg befördern.

Am Samstag findet am Hindukusch die langersehnte Stichwahl des zukünftigen afghanischen Präsidenten statt. Von acht Kandidaten blieben im ersten Wahlgang zwei Männer übrig: Der ehemalige Außenminister Abdullah Abdullah erhielt über vierzig Prozent der Stimmen. Knapp dahinter: Ashraf Ghani Ahmadzai, ein früherer Weltbankmitarbeiter, der einst unter Hamid Karzai als Finanzminister tätig gewesen ist.

Soweit die nüchternen Fakten. Doch wie steht es wirklich um die Demokratie in Jahr 14 nach dem Sturz der Taliban und Beginn der NATO-Besatzung? Die Wahlen Anfang April wurden von westlichen als »Erfolg« gefeiert. Demokratie am Hindukusch – so das einhellige Credo - ist möglich. Nach all dem Krieg und Blutvergießen habe die NATO doch etwas Positives in Afghanistan zurückgelassen.

Entweder du wählst meinen Kandidaten oder du wählst gar nicht

Die Realität sieht jedoch anders aus: Wahlzettel waren plötzlich nicht mehr auffindbar.Unzählige Beschwerden über Wahlbetrug gingen bei der Unabhängigen Wahlkommission (IEC) des Landes ein. Hunderttausende Stimmen wurden aufgrund von Unregelmäßigkeiten annulliert. Ohnehin tanzt in mehreren Provinzen des Landes der »demokratische« Prozess nach der Pfeife der lokalen Warlords. Mehr als einmal galt: Entweder du wählst meinen Kandidaten oder du wählst gar nicht.

All diese Informationen sind längst öffentlich, doch nur selten werden sie veröffentlicht. Erneut ist das das afghanische Volk am Samstag gezwungen, zu den Wahlurnen zu schreiten. Ob diese Wahl in Afghanistan etwas zum Positiven ändern wird, ist fragwürdig. Beide Kandidaten vertreten weitestgehend US-Interessen. Beide wollen das sogenannte »Sicherheitsabkommen« mit den USA - in Wahrheit ein Straffreiheitsabkommen für US-Soldaten - umsetzen. Und beide scharren zahlreiche Warlords um sich. Mit Demokratie hat all das nichts zu tun.

Nach der Wahl könnten alle wichtigen Ämter in der Hand der tadschikischen Minderheit sein

Auch ein weiterer Aspekt der Wahlen bleibt in westlichen Medien unbeachtet: Wie nur selten in der Geschichte des Landes der Fall, könnte mit Abdullah Abdullah ein Tadschike an der Spitze des Staates stehen. Meist beanspruchten Paschtunen, die die Mehrheitsbevölkerung Afghanistans ausmachen, die Macht für sich. Ein für heutige Verhältnisse utopischer Anspruch: Nachdem die Amerikaner gemeinsam mit der Nordallianz die Taliban aus Kabul verjagt hatten, wurden zahlreiche Schlüsselpositionen mit ihren Kriegsfürsten besetzt. Auch Abdullah entstammt dem nahen Umfeld des 2001 getöteten Nordallianzführers Ahmad Schah Massoud.

Mittlerweile hat sich eine tadschikische, nordafghanische Elite entwickelt. Diese kontrolliert sowohl Armee und Geheimdienst, als auch den diplomatischen Dienst im Ausland. Bis auf ein paar bedeutungslose Würdenträger blieb nur ein Posten paschtunisch: der von Staatsoberhaupt Hamid Karzai. Ein Sieg Abdullahs – und damit das Wegfallen ihres letzten Machtpfeilers - würden die meisten Paschtunen wohl nicht hinnehmen. Umgekehrt steht zu befürchten, dass die Wahl des Paschtunen Ashraf Ghani zum Staatsoberhaupt, den Zorn der tadschikischen Minderheit wecken würde. Abdullahs Anhänger würden Ghani wahrscheinlich Wahlbetrug vorwerfen, seine Präsidentschaft nicht akzeptieren.

Die Wahl, die den Krieg beenden sollte, könnte zum Bürgerkrieg führen

Zusätzlich verschärft wird das Dilemma durch eine umstrittene Postenbesetzung: Ausgerechnet den usbekischen Kriegsfürsten Abdul Rashid Dostum hatte Ghani zu seinem Stellvertreter auserkoren. Dostum ist aufgrund seiner zahlreichen Verbrechen sowohl bei Paschtunen, als auch bei Tadschiken verhasst. Einige Warlords um Abdullah haben mit dem Usbeken noch alte Rechnungen offen.

Ausgerechnet eine Präsidentschaftswahl, die in westlichen Medien zum Weg aus dem Krieg hochstilisiert wurde, könnte somit das Land in den Bürgerkrieg führen. Denn egal wer gewählt wird: ethnische Spannungen und die Destabilisierung des Landes werden zunehmen. Und wem dieses Szenario noch nicht düster genug erscheint: Die Taliban lehnen beide Kandidaten als »US-Marionetten« ab. Demokratie am Hindukusch ist auch nach diesem Wahlsamstag nicht in Sicht.

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