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Loblied auf die eigenen »Erfolge«
Rudolf Dreßler über das Schröder-Blair-Papier, neoliberale Umtriebe der SPD und fehlende Courage der Genossen
Einen Irrtum sollte man nicht relativieren, sondern eingestehen. Einen kapitalen Fehler sollte man auch so benennen. Bringt man dazu die Kraft nicht auf, einfacher formuliert: Fehlt dazu der Mut, kommt man nicht aus dem Schlamassel.
Nun kalauert die SPD-Führung schon einige Jahre die abgedroschene Phrase, es sei den Elementen ihrer »Agenda 2010« zuzuschreiben, dass es Deutschland wirtschaftlich gut geht. Selbstredend sind die Protagonisten des Neoliberalismus, vereint mit diesem Teil der Sozialdemokratie, im gleichen Gesangsverein und singen lautstark das gleiche Loblied. Sie alle nehmen billigend in Kauf, dass es vielen in der Bundesrepublik wegen der Agendagesetze schlechter geht als vorher.
Einerseits sei es geboten, jetzt erkennbare Fehlentwicklungen zu korrigieren; andererseits wäre es schon lange an der Zeit, auf diese Gesetze stolz zu sein, meinte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel vor einigen Jahren in einem Essay. Darin hatte er versucht, diesen Spagat zu rechtfertigen. Der Politikwissenschaftler Walter stellte dazu fest: » ... die Sozialdemokraten werden wohl nicht zur Ruhe kommen.«
Zu Recht, wie wir heute wissen. Fünfzehn Jahre nach der Veröffentlichung des sogenannten Schröder-Blair-Papiers, das unter Führung von Bundeskanzler Gerhard Schröder den Neoliberalismus innerhalb der SPD mehrheitsfähig machte, die Mehrheitsfähigkeit der Sozialdemokratie in der Wahlbevölkerung hingegen in die untere Hälfte des Zwanzig-Prozent-Bereichs katapultierte, wäre eine Debatte zum Thema mehr als überfällig.
Nehmen wir eines der Lieblingsthemen des parteiübergreifenden Neoliberalismus: die Forderung nach mehr Flexibilität. Was verbirgt sich hinter diesem Schlagwort? Wenn wir uns die gesellschaftspolitischen Maßnahmen ansehen, die seit der rot-grünen Bundesregierung beschlossen wurden, müssen wir feststellen: Nichts Gutes! So wurden
- der Arbeitsmarkt dereguliert;
- die Leistungen bei Arbeitslosigkeit gekürzt;
- die Gesundheitsleistungen aus der Leistungspflicht der Krankenversicherung herausgenommen;
- das Rentenniveau gesenkt;
- der Kündigungsschutz aufgeweicht
- und die paritätische Finanzierung der Sozialversicherungssysteme beendet.
Das alles hatte für die SPD keine identitätsstiftende Wirkung. Im Gegenteil: Die Maßnahmen haben die Partei bei ihrer eigenen Stammwählerschaft zum Teil massiv in Verruf gebracht. Nachdem sich in der SPD-Programmatik das neoliberale Gedankengut breit machen konnte, ist der Zwist innerparteilich nicht ausgetragen, sondern von der Parteispitze abgewürgt worden. »Und damit Basta!« Walter schreibt zutreffend, dass sich in der SPD zwei verschiedene Partei-, Bündnis- und Reformkonzeptionen gegenüber stehen.
Das Papier der Regierungschefs Schröder und Toni Blair hat nie einem Bundesparteitag der SPD als Beschlussgrundlage vorgelegen. Die Autoren und Anhänger des Inhalts hatten zu keinem Zeitpunkt die Courage, damit in die Entscheidung zu gehen. Wohl wissend, dass es schwierig werden würde, dafür auf Zustimmung bei den Genossen zu stoßen. Sie haben damals den Neoliberalismus schleichend in die SPD getragen. Quasi durch die Hintertür. Die Agendagesetze waren dafür das geeignete Transportmittel.
Der Neoliberalismus hat einen Teilerfolg erzielen können: Die SPD ist von einer Mehrheitsfähigkeit auf Bundesebene meilenweit entfernt. Gesucht wird zum fünfzehnten Jahrestag des Schröder-Blair-Papiers eine Parteiführung, die einen Irrtum und einen Fehler auch so benennt. Und nicht versucht, sie dem Bürger als Erfolge zu verkaufen.
An dieser Stelle hat bereits Oskar Lafontaine zum Thema Stellung bezogen. Sein Beitrag ist auf der Homepage des »nd« nachzulesen: www.nd-aktuell.de.
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