Professor kratzt am Mietspiegel
Streitigkeiten um die Miethöhe könnten künftig teuer werden
Für Mieter könnte es künftig schwerer werden, sich gegen unberechtigte Mieterhöhungen zu wehren. Vor zwei Berliner Gerichten laufen derzeit Mieterhöhungsverfahren, in denen die Aussagekraft des Berliner Mietspiegels bezweifelt wird. Sowohl das Landgericht Berlin als auch das Amtsgericht Charlottenburg wollen deshalb klären lassen, ob die Mietspiegel 2009 und 2013 nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt wurden.
In beiden Fällen wurde der Dortmunder Professor Walter Krämer vom Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik mit einem Gutachten beauftragt. Er kommt jetzt zu dem Schluss, dass beide Mietspiegel die Anforderungen nicht erfüllen. So sei die Aufteilung des gesamten Stadtgebiets in nur drei Wohnlagen – einfach, mittel, gut – willkürlich. In der Auseinandersetzung vor dem Landgericht verlangt der Vermieter eine vierte Wohnlage (sehr gut) wie etwa in München, um die Miete entsprechend erhöhen zu können. Der Gutachter hält eine Unterteilung der Wohnlagen in Innen- und Außenbezirke für geboten. Man könne Wohnungen in City-Lagen nicht mit solchen am Stadtrand in einen Topf werfen.
Außerdem bezweifelt Krämer, dass die Datenerhebung für den Mietspiegel repräsentativ ist. Bestimmte Mieterhaushalte seien überproportional vertreten. »Vom Typus her nach Krämers Ansicht eher der brave Beamte, der seit 20 Jahren in der Wohnung lebt und eine niedrige Miete zahlt, und weniger der vielbeschäftigte Jungunternehmer oder Selbstständige, der viel zahlt, aber keine Zeit hat zum Ausfüllen des Fragebogens«, so Dieter Blümmel vom Eigentümerverband »Haus & Grund«. Für Reiner Wild vom Berliner Mieterverein ist es eher umgekehrt. »In der Regel beteiligen sich Menschen mit geringem Einkommen und damit eher niedrigen Mietzahlungen an solchen Umfragen gar nicht.«
Wild erinnert daran, dass der Berliner Mietspiegel von allen Vermieter- und Mieterverbänden anerkannt ist. Blümmel nennt ihn sogar den »besten in Deutschland«. Sollten sich die Richter dem Gutachter anschließen, »dann wird künftig vermehrt mit teuren Gutachten zur Ermittlung der Vergleichsmiete zu rechnen sein«, so Wild. Laut Blümmel würden solche Gutachten locker zwischen 700 und 3000 Euro kosten. Mieter werden es sich also überlegen, ob sie einer Mieterhöhung widersprechen und es auf ein Gerichtsverfahren ankommen lassen. Zahlen muss der Verlierer. »Mieterhöhungsstreitigkeiten würden zu einem unkalkulierbaren finanziellen Risiko«, sagt Wild.
Derzeit reicht zumeist ein Blick auf den Mietspiegel, um zu erkennen, ob das Verlangen nach einer Mieterhöhung berechtigt ist. Nur wenn die Miete unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt, darf sie steigen. »Mit dem Mietspiegel können sich Mieter besser gegen unberechtigte Mieterhöhungen wehren«, sagt Wild. Der Chef des Mietervereins hält die Kritik Krämers am Mietspiegel für haltlos. »Die Gutachten weisen schwere Mängel auf.« So habe Krämer weder die Methodik der Erstellung der Berliner Wohnlagenkarte noch die Wohnlageneinstufung des Gebäudes, um das es im Verfahren gehe, systematisch untersucht. Stattdessen fallen die Gutachten durch willkürliche individuelle Wertungen auf. So habe ein Flohmarkt als Indiz ausgereicht, um die Wohnlageeinordnung zu monieren.
Würden die Gerichte den Berliner Mietspiegel nicht mehr als »qualifiziert« anerkennen, wäre das nach Ansicht Wild auch ein »Bärendienst« für die beabsichtigte Mietpreisbremse des Bundes. Mit der Einführung soll erreicht werden, dass bei der Neuvermietung einer Wohnung deren Miete nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. »Darüber wird dann wohl ebenfalls häufig vor Gericht per Gutachten gestritten werden.« Der Mieterverein will dem Gericht ein Gegengutachten vorlegen. Mieterverein wie »Haus & Grund« fordern von der Bundesregierung eine Rechtsverordnung mit einheitlichen Standards über die Aufstellung von Mietspiegeln.
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