Viktor Orbáns außenpolitisches Kaspertheater
Eine neuerliche Wende in der ungarischen Außenpolitik?
Gegenüber »Bild« äußerte Ungarns Regierungschef Viktor Orbán kürzlich: »Es wäre ein Verstoß gegen mein Wahlversprechen und ein Bruch der Europäischen Verfassung, wenn ich nun Herrn Juncker nominieren würde, nur weil andere Parteien der EVP das so wollen. Das würde am Ende die Grundfesten der Europäischen Union zerstören.« Es war eine der großartig klingenden, aber völlig uninterpretierbaren Aussagen, wie sie in Ungarn geradezu täglich zu hören und zu lesen sind. Jedenfalls zeigt sie eine neue Wende der Außenpolitik Ungarns an.
Seit Langem gehörte das Land aus politischen, ökonomischen, historischen und geografischen Gründen zur deutsch-österreichischen Interessensphäre. In gewisser Weise galt das auch zu staatssozialistischen Zeiten, als jahrelang nach der Sowjetunion nicht RGW-Staaten die wichtigsten Handelspartner waren, sondern die Bundesrepublik und Österreich. Was seit Jahrhunderten von den maßgeblichen politischen Kräften, vom rechtsradikalen Rand bis weit ins linke Spektrum hinein, als selbstverständlich betrachtet wurde, scheint Orbán nun in Frage stellen zu wollen.
Nachdem er mit seiner »unorthodoxen« Gesetzgebung, wie er sie selbst gern nennt, begonnen hatte und dafür hin und wieder nach Brüssel zitiert worden war, musste Orbán einen Verlust an Verbündeten in der EU konstatieren. Nur seine Parteienfamilie, die Europäische Volkspartei (EVP), versuchte ihn noch - oft zähneknirschend - zu verteidigen.
Vor zwei Jahren begannen sich in Orbáns Außenpolitik erste Konsequenzen des, so der Ministerpräsident wörtlich, »entschiedenen Kampfes gegen die Europäische Union« zu zeigen. Zunächst war eine mehr symbolhafte denn wirtschaftlich fruchtbare Annäherung an den Osten zu beobachten: Kontakte wurden gesucht mit arabischen Staaten wie Saudi-Arabien und ehemaligen Sowjetrepubliken wie Aserbaidshan und Kasachstan. Vor allem der Annäherungsversuch an China war mit einer Siegespropaganda ohnegleichen verbunden. Vom Saulus zum Paulus wurde der Ministerpräsident aber durch seinen Geheimpakt mit Wladimir Putin in diesem Frühjahr. Früher radikal antirussisch eingestellt, lässt Orbán ohne vorherige Information der Gesellschaft das ungarische Atomkraftwerk Paks von Russland ausbauen, zu sehr nachteiligen Bedingungen.
Aber ganz ohne EU geht es doch schwer. Deutschland und Österreich sind für Orbán nicht mehr aktuell, mit verschiedenen Nachbarn hat er sich zerstritten, sein italienischer Freund Berlusconi ist passé, die Iberische Halbinsel war für Ungarn immer uninteressant und die nordeuropäischen Staaten haben so gut wie nichts mit der Orbánschen Weltauffassung gemein. Bleibt Britannien, das sich mit seiner euroskeptischen Einstellung und seinem radikalen Neoliberalismus als Gelegenheitslösung für Orbán anbot. So schmückt er sich in letzter Zeit oft mit Sprüchen englischer Politiker. Die Ablehnung des Euros begründet er damit, dass Ungarn die Gemeinschaftswährung erst einführen könne, wenn sein Bruttoinlandsprodukt 90 Prozent des EU-Durchschnitts erreiche. Das erinnert an eine Äußerung Margaret Thatchers, die den Euro erst einführen wollte, wenn die britischen und europäischen wirtschaftlichen Zyklen synchronisiert seien, also nie. Auch häufen sich in letzter Zeit Churchill-Zitate in Orbáns Reden, was wiederum als Annäherungsversuch an David Cameron gedeutet werden kann. Ob sich da der Beginn einer wunderbaren Freundschaft Cameron-Orbán abzeichnet, bleibt abzuwarten.
Die kritische ungarische Presse jedenfalls schlachtet die Anti-Juncker-Töne des Regierungschefs genüsslich aus. Wenn Orbán jetzt gegen Juncker wettere, so deswegen, weil er sich in Konflikten mit der EU nach dessen Wahl stets darauf berufen könne, dass er Juncker ja immer abgelehnt habe. Einen Verlust der zähneknirschenden EVP-Unterstützung müsse Orbán nicht fürchten, denn seine Gegnerschaft zu Juncker werde von der EVP als Kaspertheater am Rande abgebucht. Da mag wohl etwas Wahres dran sein.
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