Tippen wie ein Arbeiterführer
Auf Liebknechts Schreibmaschine soll bald online geschrieben werden - Leipzigs LINKE sucht noch Buchstabenpaten
Die Revolution hat doch stattgefunden. In der Politik entwickelten sich die Verhältnisse zwar nicht so, wie sich das Karl Liebknecht vor rund 100 Jahren vorstellte. Auf dem Gebiet der Schreibtechnik aber haben sich seit der Zeit des KPD-Mitbegründers revolutionäre Umbrüche vollzogen, die das Leben der mit Textverarbeitung befassten Werktätigen sehr erleichtern. Nur ein Beispiel: Bei modernen Schreibgeräten sieht der Autor gleich, was er geschrieben hat.
Die »Frister & Rossmann«, auf der Karl Liebknecht schrieb, lässt das nicht zu. Die Schreibmaschine, ausgestellt in seinem Geburtshaus in Leipzig, galt zwar zu ihrer Zeit als bahnbrechende Neuerung; ihre in Berlin ansässige Herstellerfirma warb mit »höchsten Auszeichnungen« für ihr Produkt, bei dem es sich um die erste in Deutschland hergestellte Typenhebel-Schreibmaschine handelte. Eben diese ringförmig angeordneten Typenhebel schlugen aber von unten gegen die Gummiwalze, auf die das Papier gespannt wurde. Fehler erkannte der Schreiber daher erst einige Zeilen später.
Dass Liebknechts Schreibmaschine jetzt online gehen soll, ist freilich weniger den technischen Eigenheiten des Schreibvorgangs geschuldet, sondern dessen Ergebnissen. Liebknecht habe viele bemerkenswerte Texte verfasst, sagt Volker Külow, der Stadtchef der Leipziger LINKEN, deren Büros sich heute in dem Haus in der Braustraße befinden. Er erinnert an Reden zu den Kriegskrediten, die am 4. August 1914 im Reichstag beschlossen wurden. Vieles davon, sagt Külow, »wirkt heute wieder sehr aktuell«. Um dies auch einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln, entstand die Idee, die bisher nur in einem kleinen Museum zu besichtigende Maschine 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs ins Netz zu stellen - und mit ihr etliche womöglich darauf entstandene Texte . »Es geht nicht um technische Spielerei, sondern darum, Liebknechts Erbe ins 21. Jahrhundert holen«, sagt Külow.
In diesem 21. Jahrhundert werden Texte nicht mehr auf Maschinen vom Gewicht eines dicken Kartoffelsacks und mit einer Tastatur geschrieben, deren Bedienung eine ausgeprägte Fingermuskulatur verlangt. Vielmehr wird hauchzart auf die Bildschirme von Geräten getippt, die so wenig wie ein dünnes Schulheft wiegen. Über eine Bildschirmtastatur soll daher auch die virtuelle Liebknecht-Schreibmaschine bedient werden, sagt Thomas Efer, der sich an der Universität Leipzig mit digitalen Geisteswissenschaften befasst und in seiner Freizeit die Computeranwendung programmiert. Deren Steuerung über eine echte Computertastatur wäre schwierig: Diese unterscheiden sich gravierend von dem Tastenfeld, vor dem Liebknecht saß. Dort sind die Großbuchstaben beidseits am Rand angeordnet. Links oben stehen statt der heutigen Buchstabenreihung Q-W-E-R-T-Z die Buchstaben V und W, eine Reihe darunter R, T und E. Eine Umschalttaste gibt es nicht. Die Kleinbuchstaben finden sich im Mittelfeld, bunt gemischt mit Zahlen und Satzzeichen.
Die Realisierung der Computeranwendung, zu der auch ein virtuelles 360-Grad-Modell der »Frister & Rossmann« gehören soll, ist einigermaßen aufwendig - Külow rechnet mit Kosten von 2500 Euro. Aufgebracht werden soll das Geld durch Tastenpatenschaften zu je 35 Euro. Bisher seien Sponsoren für etwa die Hälfte der Tasten gefunden worden; weitere Interessenten könnten sich in der Geschäftsstelle der LINKEN in Leipzig melden und auch über noch verfügbare Tasten informieren lassen.
In dem Haus in der Braustraße steht die Maschine seit 1998. Das Gebäude war als Karl-Liebknecht-Haus einst eine Außenstelle des Stadtgeschichtlichen Museums, in der über Leben und Werk des hier geborenen Politikers informiert wurde. In der neuen Ausstellung, die nach dem Einzug der LINKE-Geschäftsstelle erarbeitet wurde, liegt das Augenmerk stärker auf Vater Wilhelm Liebknecht, der im Jahr 1867 in das Haus am damaligen Stadtrand gezogen war und dort bis 1881 unter beengten Verhältnissen mit seiner zweiten Frau, fünf Söhnen und vier Töchtern in vier Zimmern im Hochparterre wohnte. 1874 besuchte dort Karl Marx seinen damals dreijährigen Patensohn Karl. Das Gebäude wird heute als »Liebknecht-Haus« bezeichnet - was Vater und Sohn einschließt. An letzteren erinnern zwei »Reliquien«: eine von seiner Enkelin übergebene Weste sowie die Schreibmaschine, eine Dauerleihgabe des Museums. Ein erstes Exemplar wurde im Jahr 2001 gestohlen. Später stellte sich heraus, dass es sich dabei um eine Doublette gehandelt hatte; die nun wirklich echte Maschine ist heute unter Glas gut gesichert und nicht mehr zu berühren.
Die Computeranwendung soll immerhin einen Eindruck davon vermitteln, wie Liebknecht schrieb. Die Texte erscheinen in einer Typografie, die der von dessen Maschine ähnelt, sagt Thomas Efer. Völlige Treue zum Original wird nicht angestrebt: »Einige Lettern sind schon sehr abgenutzt.« Die entstandenen Texte können gespeichert, gedruckt und verschickt werden. Ob sie freilich auch so geistreich sind wie die des Arbeiterführers - dafür kann das Computerprogramm keine Vorsorge treffen.
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