Die Pulsmesser in den Thüringer Wäldern

In 14 Messstationen sammeln Mitarbeiter der Landesforstanstalt Daten und Hinweise auf den Gesundheitszustand der Bäume

  • Andreas Göbel
  • Lesedauer: 3 Min.
Thüringens Wald leidet unter zu viel Stickstoff, der vor allem aus der Landwirtschaft kommt. Das zeigen Umweltdaten des Waldmonitorings, die Thüringenforst zusammenträgt.

Sondershausen. Der Arbeitsplatz von Klaus Spreng wirkt von Weitem wie ein Abenteuerspielplatz mitten im Wald. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich das umzäunte Areal in der Nähe des gut 430 Meter hohen Bergs Possen bei Sondershausen als eine Ansammlung von rund 50 verschiedenen Gerätschaften. Spreng fühlt hier sozusagen den Puls des Waldes. 14 solcher Messstationen unterhält die Landesforstanstalt im Freistaat, um Umweltdaten und Hinweise auf den Gesundheitszustand des Waldes zu gewinnen. Dafür steigen in diesen Tagen auch Zapfenpflücker in die Baumwipfel. Sie entnehmen aus den Baumkronen Blatt- und Nadelproben.

Seit Jahren sammeln Forscher und Techniker kontinuierlich mit allerlei Geräten Informationen über Stress- und Umweltfaktoren: Von Niederschlagsmengen über die Schadstoffbelastung im Regenwasser bis hin zur Menge des Laubes im Herbst wird alles akribisch registriert und ausgewertet. Dabei können die Forscher den Bäumen sogar beim Wachsen zuschauen - ein sogenanntes Dendrometer macht es möglich.

Drei große Stationen mit 50 Geräten

Für die Umweltüberwachung in Thüringens Wäldern gibt es elf kleine Messstationen sowie drei große Standorte mit jeweils rund 50 Geräten. Jeder der drei Standorte ist spezialisiert auf eine andere Baumart. Am Possen wird der Lebensraum der Buche untersucht, in der Nähe von Oberhof steht die Fichte im Mittelpunkt, bei Kahla werden Kieferbestände beobachtet.

Die Geräte erfassen etwa ein halbes Dutzend verschiedene Faktoren - vom Niederschlag über Laub bis zum Wachstum der Bäume. Daraus werden über einen längeren Zeitraum zahlreiche Daten gewonnen, aus denen dann Rückschlüsse auf die Umweltbelastungen und den Gesundheitszustand des Waldes gezogen werden. dpa

 

 

»Normalerweise wird das Wachstum der Bäume einmal im Jahr gemessen«, erläutert Spreng. »Mit unseren Geräten können wir aber selbst die täglichen Veränderungen festhalten.« Das habe schon zu einigen neuen Erkenntnissen geführt - so etwa, dass entgegen der landläufigen Meinung die Bäume an manchen Standorten sogar im Winter leicht weiterwachsen. Selbst im Laufe eines Tages gebe es Schwankungen im Umfang des Baumes. Je nachdem, wie viel Flüssigkeit verdunste, könne der Durchmesser mittags ab- und abends zunehmen, erläutert Spreng.

Trotz moderner Technik: Besonders aufsehenerregend ist bei dieser Arbeit das dreiköpfige Kletterteam. Im Dienst der Wissenschaft erklimmen die Männer an den insgesamt 14 Messstationen einmal im Jahr die Wipfel, um Blätter zu ernten, die später im Labor etwa auf Krankheiten untersucht werden. Bevor das Kletterteam aus Gotha eingesetzt wurde, waren die Forscher auf rabiatere Methoden angewiesen. »Noch vor etwa zwanzig Jahren haben wir die Äste mit dem Gewehr aus der Krone geschossen«, erklärt die Leiterin des Umweltmonitorings beim Thüringenforst, Ines Chmara. »Die ausgebildeten Zapfenpflücker erledigen das aber deutlich besser.«

Die Ergebnisse dieser Forschungen seien begehrt, betont die Expertin. Außer den Forstämtern, Revieren und Umweltbehörden gebe es auch viele Privatleute, die Interesse daran hätten. Alle fünf bis zehn Jahre wird ein neuer Monitoring-Bericht veröffentlicht. Solange dauert es meist, bis neue, aussagekräftige Daten zusammenkommen. Nicht zu verwechseln ist diese Erhebung mit dem »Waldzustandsbericht«. Der wird jährlich veröffentlicht und beruht nur auf sichtbaren Veränderungen in ausgewählten Waldgebieten. Die wissenschaftlich fundiertere Variante liefert das mehr als 150 Seiten starke Monitoring-Ergebnis.

Beide Untersuchungen kommen aber zu ähnlich alarmierenden Ergebnissen. »Eines der Hauptprobleme heutzutage ist die hohe Belastung mit Stickstoff«, erläutert Chmara. Der Stoff wirke wie Doping für die Bäume: »Die Bäume wachsen schnell und werden sehr schnell dick, allerdings fehlen die Nährstoffe.« Unter anderem würden deshalb die Wurzeln nicht richtig ausgebildet. »Ähnlich wie beim Menschen führt das irgendwann zum Kollaps.«

Besonders verheerend wirkten sich die vor allem aus der Landwirtschaft stammenden Düngerreste in Kombination mit langen Hitzeperioden aus, die die Forscher ebenfalls belegen können. »Im Prinzip messen wir die Wirklichkeit hinter dem, was Klimamodelle prognostizieren«, betont Chmara. Und die seien beunruhigend. Doch es gebe auch eine positive Nachricht: Zumindest die Schwefelbelastung in den Böden, die als Hauptursache für das Waldsterben gilt, ist nach Angaben der Fachleute in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. dpa/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.