Eine Stadt am finanziellen Abgrund
Gera ist pleite - ist damit aber nicht allein in Thüringen
Nach der Einleitung eines Insolvenzverfahrens gegen die kommunale Geraer Holding Stadtwerke AG und dem am Donnerstag gestellten Insolvenzantrag gegen die kommunalen Geraer Verkehrsbetriebe (GVB) sorgt die Finanzkrise der Ostthüringer Stadt landesweit für Aufsehen. »Wie konnte das passieren und wie geht es weiter?«, fragen sich besorgte Bürger und Politiker in der finanziell angeschlagenen Kommune.
Dabei ist Gera nur eine von über 300 Thüringer Kommunen ohne genehmigten Haushalt für das laufende Jahr. Das »Ende der Fahnenstange« ist längst erreicht. Für viele Akteure ist dies Ausdruck eines völlig unzureichenden Kommunalen Finanzausgleichs. Unter dem Druck der kommunalen Aufsichtsbeamten wurden in Gera alle »freiwilligen Ausgaben« zusammengestrichen, Betriebe wie eine Wohnungsbaugesellschaft, Klinikum und Energieversorger ganz oder teilweise privatisiert und im Bundesvergleich Höchstsätze für Grundsteuer und Gewerbesteuer eingeführt. Zur Finanzierung von Pflichtaufgaben etwa bei der Sozialhilfe ist Gera auf Kassenkredite angewiesen. Für die Schulsanierung dringend benötigte 50 Millionen Euro sind nicht in Sicht.
Zu DDR-Zeiten hatte Gera über 140 000 Einwohner, beherbergte 40 000 Arbeiter des nahen Wismut-Uranbergbaus und war stolz auf Großbetriebe der Schwermaschinen- und Textilbranche. Die allermeisten Arbeitsplätze wurden Anfang der 1990er Jahre vernichtet, der größte örtliche Industriebetrieb hat noch rund 400 Stellen. Inzwischen liegt die Stadt unter der 100 000-Einwohner-Marke und ein Ende des Bevölkerungsschwunds ist nicht in Sicht. Gera registriert landesweit die höchsten Arbeitslosenquoten. Im Gegensatz zum nahen Jena fehlen hier als Magnet für junge Menschen Arbeitsplätze und größere Hochschulen.
Die von der Landesregierung vertretene Ansicht, die Stadt habe »über ihre Verhältnisse« gelebt, kann Margit Jung (LINKE), Vorsitzende der stärksten Rathausfraktion, nicht nachvollziehen. Schließlich hätten Landesbeamte Jahr für Jahr die städtischen Haushalte genehmigt und nie vor »exzessiven« Ausgaben gewarnt, so Jung auf nd-Anfrage. Die Landesregierung habe jahrelang Warnungen ignoriert und zugesehen, wie sich die Finanzlage der Stadt drastisch zugespitzt habe.
Für Kritiker wie Jung und den kommunalpolitischen Sprecher der Thüringer Linksfraktion, Frank Kuschel, könnte der Fall Gera nur die Spitze eines Eisbergs darstellen und ein negativer Präzedenzfall für andere Kommunen werden. Sie sprechen von einer Aushebelung der kommunalen Selbstverwaltung und der Demokratie.
Im Juni hatte die unter anderem von der CDU in der Direktwahl 2012 unterstützte parteilose Oberbürgermeisterin Viola Hahn offensichtlich unter dem Druck der CDU-SPD-Landesregierung im Stadtrat eine Privatisierung der kommunalen Wohnbaugesellschaft GWB Elstertal, einer Tochter der Stadtwerke AG, beantragt und dies mit der Abwehr einer drohenden Insolvenz begründet. Das Begehren, das einem endgültigen Ausverkauf von »Tafelsilber« entspräche, fand jedoch bei keiner Fraktion Zustimmung.
Den im Gegenzug vom Stadtrat zur Verhinderung einer Privatisierung gewollten Rückkauf der Mehrheitsanteile der Stadtwerke Holding an der GWB Elstertal durch die Kommune habe das dem CDU-Innenminister unterstellte Landesverwaltungsamt dann strikt untersagt, so die Kritiker. Nun drohe unter der Insolvenzverwaltung ein Ausverkauf der Wohnbaugesellschaft, dem demokratisch gewählte Politiker tatenlos zusehen müssten.
Die finanziell handlungsunfähige Stadt könne die Aufgaben nicht ohne Hilfe stemmen, kommentierte der Thüringer Oppositionsführer Bodo Ramelow (LINKE) die Krise in Gera. »Die Schuldfragen möge man bitte später klären, zuallererst muss jetzt geholfen werden.« Ramelow forderte Landesregierung und Stadtverwaltung auf, mit einer Finanzspritze für eine Rückabwicklung der beantragten Insolvenz zu sorgen und eine Haushaltssanierung einzuleiten. Dabei könnte die GWB Elstertal auch zu 100 Prozent von einem öffentlichen Träger übernommen oder sämtliche Anteile bei der Thüringer Aufbaubank als Pfand hinterlegt werden.
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