Die Schattenseite des Social Travelling
Vermittlungsportale für Ferienwohnungen in Szenevierteln boomen - preiswerter Wohnraum wird noch knapper
Etwa 200 Euro verdient Holger Hiller* im Monat mit der Vermietung seiner kleinen Wohnung im Hamburger Stadtteil St. Georg. Durchschnittlich dreimal im Monat vermietet er an Besucher aus aller Welt. Möglich macht es das Internet-Portal Airbnb. Allein in Hamburg, wo der Vermittler 2011 seine erste Niederlassung außerhalb der USA gegründet hatte, sind etwa eintausend Unterkünfte gelistet.
Die Idee dahinter ist so einfach wie einleuchtend: Viele junge Urlauber setzen auf »Social Travelling« (soziales Reisen), denn sie ziehen eine private Unterkunft dem unpersönlichen Hotel vor. Und warum sollten Mieter nicht die eigene Wohnung mit anderen teilen? Doch genau damit begibt man sich in eine rechtliche Grauzone: »Untervermietung muss vom Vermieter genehmigt werden«, informiert der Hamburger Verein »Mieter helfen Mietern«. Wer sich nicht dran hält, riskiert eine Abmahnung, der auch eine Kündigung folgen könne. Vielen Vermietern auf Portalen wie Airbnb, 9flats oder Wimdu ist das nicht unbedingt klar.
Auch die Politik greift ein. In Berlin ist seit dem 1. Mai ein »Zweckentfremdungsverbotsgesetz« in Kraft, welches die »Nutzung von Wohnraum zu anderen als Wohnzwecken« genehmigungspflichtig macht. Für Airbnb & Co. ist dies natürlich Gift, denn das Teilen kann eben auch als Gewerbe gelten. Wo eine Zweckentfremdung von Wohnraum vorliegt, bedarf fortan einer Einzelfallprüfung.
Der Berliner Senat möchte mit seinem Gesetz, das es ähnlich auch in Bayern und Baden-Württemberg gibt, den vorhandenen Wohnraum in Gegenden mit Knappheit schützen. Das ist nötig, denn zentrumsnahe, angesagte Stadtviertel sind nicht nur in Berlin, sondern in den Metropolen rund um den Globus gefragt. Gewiefte Eigentümer wandeln Wohnungen in kleine Apartments um, und Mieter hoffen, mit der eigenen Wohnung etwas Geld zu machen.
Auch in Istanbul ist die Zahl der angebotenen Wohnungen in den letzten Jahren kräftig gestiegen. Das Kurzzeit-Vermieten wird quasi professionell betrieben: Fatih Onder etwa wohnt mittlerweile meist bei seiner Freundin, denn er lebt von den Einnahmen seines Zwei-Zimmer-Apartments im Kneipenviertel Beyoğlu im europäischen Teil der 14-Millionen-Metropole. Kein Einzelfall in seinem Freundeskreis. Auch Vermieter, die gleich mehrere Objekte anbieten, sind auf dem Airbnb-Portal alles andere als selten. Die Idee vom Teilen der Wohnung mit einem Feriengast und dem persönlichen Kontakt spielt kaum mehr eine Rolle. Dafür nimmt die Zahl professioneller Anbieter mehrerer Apartments zu. Das hat auch Folgen für das Stadtbild, denn frisch sanierte Häuser stehen neben heruntergekommenen. Die soziale Schere geht beispielsweise links und rechts des Tarlabaşı Bulvarı, der den Stadtteil Beyoğlu quasi filetiert, auseinander.
Verdrängung und Vernichtung preiswerten Wohnraums sind natürlich nicht nur in Istanbul, sondern genauso in Berlin, New York oder San Francisco ein großes Problem. Portale wie Airbnb spielen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle, monieren Kritiker des »Social Travelling«. Der Präsident der New Yorker Hotelkette Apple-Core, Vijay Dandapani, nannte die Airbnb-Chefs sogar »Gesetzesbrecher«. Sie hielten sich nicht an die Regeln und Auflagen für den Beherbergungssektor, etwa beim Brandschutz. Die Behörden in New York und San Francisco haben Ermittlungen begonnen, ob Airbnb gegen Gesetze des jeweiligen Bundesstaates verstößt.
Nigel Warren hat dies bereits schmerzlich zu spüren bekommen. Als er New York für ein paar Tage verließ und sein Apartment im East Village vermietete, fand er bei der Rückkehr viel Ärger vor. Die Stadt hatte in der Zwischenzeit ein Bußgeld in Höhe von 30 000 US-Dollar gegen ihn verhängt - dort ist es nämlich verboten, eine Wohnung für weniger als 30 Tage zu vermieten.
*Name von der Redaktion geändert
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