»Erziehung als Zucht«

Im Jubiläumsjahr bearbeitet die Frankfurter Goethe-Universität auch ein düsteres Kapitel ihrer Geschichte

  • Marianne Walz
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Goethe-Universität in Frankfurt am Main wurde vor einhundert Jahren gegründet. Zwölf Jahre davon wurde auch sie zur Stätte braunen Ungeistes. Etliche NS-Akteure setzten ihre Karriere nach 1945 fort.

Die einhundertste Wiederkehr ihrer Gründung 1914 feiert die Frankfurter Goethe-Universität mit zahlreichen akademischen und öffentlichen Veranstaltungen. Lehrende und Studierende beleuchten im historischen Rückblick auch die Zeit zwischen 1933 und 1945, als die Stätte humanistischer Bildung zu einem Zentrum völkisch-menschenfeindlichen Ungeistes pervertierte. Dabei engagiert sich die 2012 gegründete Forschungsstelle NS-Pädagogik unter der Leitung der Professoren Micha Brumlik und Benjamin Ortmeyer für die Aufklärung der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Erziehungswissenschaft im NS-Staat und verfolgt die Entwicklungslinien bis in die bundesdeutschen Nachkriegsjahre hinein.

Die sozialwissenschaftlichen Fachrichtungen prägten die Frankfurter Universität von Anfang an - finanziert mit Stiftungsgeldern, darunter von zahlreichen jüdischen Stifter, war in Goethes Geburtsstadt eine Stätte freien Geistes entstanden. Ein Schwerpunkt ist die anthropologische Philosophie und systematische Erziehungswissenschaft. Denn wer den Erzieherberuf ergreift, braucht eine Zielvorstellung: Ist das Menschenbild von Selbstbestimmung und kritisch reflektierter Verantwortung bestimmt - oder primär von der Vorstellung als passfähiges Teil eines übergeordneten kollektiven Ganzen? Diese Fragen verlangen weltanschauliche Grundsatzentscheidungen.

Ein Vortrag von Prof. Dr. Benjamin Ortmeyer, kürzlich gehalten im Campus Westend, zielte ins Wirkzentrum der Nazi-Pädagogik: die Persönlichkeit und den Werdegang von Ernst Krieck. Der aktive NS-Ideologe besetzte im Mai 1933 das Rektorenamt für die Universität mit dem Namen Goethes. Er war damit der erste Nazi in dieser Führungsposition an einer deutschen Hochschule und avancierte in den Folgejahren zur maßgebenden fachlichen Autorität in Hitlers Reich. »Erziehung als Zucht« - mit diesem Zitat kennzeichnete Ortmeyer die Leitlinie Krieck´scher pädagogischer Grundlagenwissenschaft und zeigte auf, wie sie durchgesetzt wurde. Krieck hatte sofort nach Amtseinführung Zwangsmaßnahmen gegen politische Gegner unter den Kollegen sowie gegen jüdische Studierende eingeleitet und alle Universitätsangehörigen aufgefordert, an der Bücherverbrennung im Mai 1933 auf dem Römerberg teilzunehmen. Er stehe damit weit außerhalb jener Reihe von »Säulenheiligen« der Reformpädagogik wie Eduard Spranger oder Peter Petersen, betonte Ortmeyer. Dennoch gäbe es historische wie systemische Zusammenhänge.

In den letzten Jahren des Kaiserreichs und den ersten der Weimarer Republik folgte der 1882 geborene praktizierende und publizierende Volksschullehrer Ernst Krieck zunächst dem bildungstheoretischen Mainstream. Er war vom deutschen Idealismus und dessen Exponenten Immanuel Kant und Friedrich Hegel begeistert. Am geisteswissenschaftlichen Bildungsideal orientierten sich gleichfalls die bis heute einflussreichen Größen des Fachs wie Eduard Spranger oder Peter Petersen. Deren pädagogische Grundlegung mit der Wertsetzung auf Gemeinschaft sollte sich jedoch als allzu anschlussfähig für Hitlers »Volksgemeinschaft« erweisen. Und ihre Verfechter, darunter wiederum Spranger und Petersen, taten sich aktiv und willfährig mit naziverherrlichenden und judenfeindlichen Ausfällen hervor. Ortmeyer hat dies in seiner 2009 erschienenen Habilitationsschrift dargelegt und mit reichem Quellenmaterial fundiert.

Krieck, der bereits früh den Krieg als Ansporn »zur Entfaltung der Kräfte und der höchsten Möglichkeiten« gepriesen hatte, verließ um 1931 mit fanatischer Hitlerverehrung und dem Eintritt in die NSDAP endgültig die humanistischen Positionen - zugunsten eines militanten Nationalismus und Führerkults, der »Rassenhygiene« und des Herrenmenschentums. Der Pädagogikprofessor und SS-Mann Krieck formulierte: »Aus dem deutschen Volke (soll) der (…) Zucht- und Erziehungsstaat auf der Grundlage eines rassisch-völkischen Weltbildes errichtet werden.« In Kriecks wirkmächtigster Schrift »Nationalpolitische Erziehung«, bereits im Jahr 1932 erschienen und Grundlagenliteratur für zahllose Studierende der Pädagogik sowohl an der Frankfurter wie auch später der Heidelberger Universität, polemisiert der Lehrer-Belehrer gegen den Intellektualismus und »das Literatentum (…) jüdischer Herkunft und Art« und huldigt dem »Rasseprinzip als Einheit von Natur und Geist«. Als Rektor machte Krieck schließlich die großen Gestalten der deutschen Philosophie wie Kant, Herder und Goethe verächtlich, weil sie geistige Anregungen aus altorientalischen und hebräischem Schriftgut aufgenommen hatten.

Nach dem Ende der Nazidiktatur internierten US-Truppen den Nazi-Propagandisten. Umgehend und strategisch betrieb Kriek seine Rehabilitierung, im Jahr 1947 starb er. An der Frankfurter Goethe-Universität setzten etliche Geisteswissenschaftler trotz der sie belastenden rassistischen Zitatbelege ihre Karriere fort, nachdem ihnen allen nahezu problemlos der »Persilschein« zuteil geworden war. Einvernehmlich pflegten sie ein »kommunikatives Beschweigen«. Evaluierungen der Art, wie viereinhalb Jahrzehnte später den DDR-Hochschullehrern zugemutet, hatte keiner zu bestehen.

Benjamin Ortmeyer beschreibt unter Bezugnahme auf authentische Quellen, wie sie gegenüber den zurückkehrenden Emigranten unter den Frankfurter Hochschullehrern eine Atmosphäre des Rechtfertigungsdruckes aufbauten. »Quotenjude« sei ein typischer Ausdruck und das »Wühlen in den Archiven« verpönt gewesen.

In den westlichen Zonen wirkten all die völkisch getrimmten Menschenzuchtmeister bruchlos weiter bis zu ihrer Pensionierung. Eine Schulreform gab es hier nicht. Noch bis 1973 war die körperliche Züchtigung durch Prügel offiziell genehmigtes Sanktionsmittel in der bundesdeutschen Pädagogik.

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