Ruhetag für die Künstler

Argentinien erreicht das Finale und fürchtet ausgeruhte deutsche Spieler

Argentinien sorgt sich um die Kraft. denn nach dem zehrenden Sieg im Elfmeterschießen bleibt ein Tag weniger zur Regeneration fürs Finale gegen Deutschland.

Noch in der Nacht, als feststand, dass es Argentinien ist, mit dem sich die deutschen Fußballer am Sonntagabend im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro messen müssen, kam vom Bundestrainer pflichtgemäß die erste Einschätzung - als Tweet via DFB-Sprecher Jens Grittner. Die Anspannung von Löw ist in den zwei Kurznachrichten gut zu erkennen, auch wenn es beiläufig und unverbindlich klingen soll: «Europa gegen Südamerika - eine reizvolle Konstellation. Argentinien ist defensiv stark, kompakt, gut organisiert. In der Offensive haben sie überragende Spieler wie Messi und Higuain. Wir werden uns gut vorbereiten und freuen uns auf Rio.»

Beim Halbfinalsieg gegen die Niederlande (4:2 i.E., 0:0, 0:0) hatten die Finalgegner aus Argentinien noch einmal gezeigt, wie gut sie beinharte Abwehrtätigkeit, bissiges Mittelfeldgrätschen und das ein oder andere Foul zusammenzufügen verstehen. Dazu noch eine Prise Geniales von Messi, Higuain oder Lavezzi, fertig ist die Erfolgsmannschaft, die es zur Not auch verkraften kann, wenn die Künstler mal einen Ruhetag einlegen, wie es im im Halbfinale von Sao Paulo zu beobachten war.

Weil auch auf Seiten der Oranjes weder Arjen Robben noch Robin van Persie groß zu überzeugen wussten, bescherten die beiden Mannschaften am Mittwochabend der WM das langweiligste K.o.-Spiel dieses Endrundenturniers. 0:0 nach 90 Minuten (so hatte zuvor noch keines der nun insgesamt 34 ausgetragenen WM-Halbfinalspiele geendet). 0:0 nach 120 Minuten. Und schließlich ein Elfmeterschießen, in dem Ron Vlaar gleich den ersten Penalty so schlecht platzierte, halbrechts und halbflach, dass ihn Argentiniens Torwart Sergio Romero ziemlich lässig parierte. Wesley Sneijder vergab dann den dritten Elfmeter der Niederländer, während die Argentinier allesamt trafen: Lionel Messi, Ezequiel Garray, Sergio Aguerro und Maxi Rodriguez. 2:4.

Alle, die sich auf das große Duell der Superstars Messi und Robben gefreut hatten, wurden enttäuscht. Beide hatten sich vor dem Spiel im Kabinengang umarmt, beide liefen viel und erreichten dennoch wenig. Genau einmal schoss Messi aufs Tor des Gegners, ansonsten war der 27-Jährige vom FC Barcelona weitgehend kaltgestellt. Die Niederländer führten vor, wie man Lionel Messi die Laune am Zaubern verderben kann.

Arjen Robben hatte immerhin zweimal aufs Tor gezielt und kurz vor Abpfiff der regulären Spielzeit sogar den Siegtreffer auf dem Fuß gehabt, als ihm Wesley Sneijder im Strafraum den Ball eher zufällig weitergeleitet hatte. Robben legte den Ball ein Stück zu weit vor und als er schießen wollte, hatte Javier Mascherano noch seinen Fuß dazwischen bekommen. Der defensive Mittelfeldspieler vom FC Barcelona war der stärkste Mann auf dem Platz.

Der Spielweise angemessen konstatierte Argentiniens Trainer Alejandro Sabella denn auch ganz nüchtern den Finaleinzug: «Wir hatten bessere Chancen, aber das Unentschieden war schon okay. Wer die Räume eng macht, gewinnt - das beste Beispiel ist Deutschland.» Dennoch haderte er mit dem Ausfall seiner Offensivabteilung. Vor allem die kräftezehrende Verlängerung bereite ihm Sorgen: «Die deutschen haben natürlich einen Vorteil mit einem Tag mehr Pause, sie mussten schon in der zweiten Halbzeit nicht mehr so viel investieren.» Doch immerhin geht Sabella mit dem Wissen um seine starke Defensive in das Endspiel: Seit dem Viertelfinale kassierte seine Mannschaft kein Tor mehr.

Bisher hat noch nie eine europäische Mannschaft ein Endspiel in Südamerika gewinnen können, wenn es am Sonntag um 16 Uhr Ortszeit zur dritten Auflage eines Finals zwischen Deutschland und Argentinien kommt (Rekord), können sich Löw und seine Spieler zumindest der Unterstützung der Brasilianer sicher sein, die den Nachbarn aus dem Süden im Fußball stets in herzlicher Abneigung begegnen.

100 000 Argentinier werden am Wochenende auf den Straßen von Rio de Janeiro erwartet, für die Pflege der traditionellen Ressentiments werden sie genügend Anlass bieten. War den Brasilianern zuvor das «Chi-Chi-Chi, le-le-le!» zum quälenden Ohrwurm geworden, ist es nun ein viel hämischerer Gesang der Albiceleste: «Brasil, decime qué se siente, tener en casa a tu papá?» - Brasilien, wie fühlt es sich an, wenn der Papa nach Hause kommt? «A Messi lo vas a ver, la Copa nos va a traer, Maradona es más grande que Pelé». Bei Messi werdet es ihr sehen, ihr werdet uns den Pokal liefern, und Maradona ist noch größer als Pele!«

Diese Vorstellung ist für Brasilianer ein Albtraum: Präsidentin Dilma Rousseff überreicht Lionel Messi am Sonntagabend den Weltpokal. Schon am Mittwoch beim Halbfinale hatten die Gastgeber im Stadion nicht ihre südamerikanischen Brüder, sondern die Niederländer unterstützt. Die Argentinier reagierten mit Spott: »1, 2, 3, 4, 5, 6, 7« - lautes Zählen sollte die Brasilianer an die Schmach vom Mineirão-Stadion erinnern, in deren Folge die Seleção nun am Samstag in Brasilia zum Spiel um Platz drei antritt und nicht im Endspiel: Gegen Holland, das am Mittwoch seinerseits mit dem Halbfinalaus im Elfmeterschießen haderte: »Für uns ist es noch schlimmer als für die Brasilianer. Eine Niederlage im Elfmeterschießen trifft einen härter als ein 1:7«. klagte Trainer Louis van Gaal.

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