Union hofft auf grüne Umfaller
CDU und CSU verzögern im Bundesrat den Doppelpass, um Asylverschärfung durchzusetzen
Als der Bundesrat am Freitag zu seiner letzten Sitzung vor der parlamentarischen Sommerpause zusammentrat, ließ er zahlreiche Projekte der Großen Koalition, wie Mindestlohn und EEG-Novelle, passieren. Doch eines fehlte: die umstrittene Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Die Länderkammer hat sie nicht vertagt, weil CDU und SPD sich hier zerstritten hätten. Im Gegenteil, beide Seiten haben die üblichen Kröten des Kompromisses geschluckt. Die Union muss den von ihr nach wie vor ungeliebten Doppelpass akzeptieren, die SPD zahlreiche Ausnahmentatbestände. Doch nun liegt das von den Koalitionären schlussverhandelte und vom Bundestag beschlossene Gesetz wieder auf Eis.
Die Union will erst zustimmen, wenn auch die geplante Verschärfung des Asylrechts im Bundesrat durchgekommen ist. Ungeachtet der durch Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Diskriminierungen von Roma und anderen Minderheiten in Serbien, Mazedonien sowie Bosnien-Herzegowina, sollen diese nun als sichere Herkunftsländer eingestuft werden, um dorthin beschleunigt abzuschieben. Der Druck der Union richtet sich dabei wohl weniger auf die SPD, die kein Problem mit dem politischen Kuhhandel - Doppelpass gegen beschleunigte Abschiebungen - zu haben scheint, sondern gegen die Grünen. Die wollen das Gesetz im Bundesrat stoppen. Auch die LINKE hat Widerstand angekündigt.
EEG-Novelle kann in Kraft treten
Der Bundesrat billigte die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), mit dem die Ausbauziele für erneuerbare Energien und die Ausnahmen für Unternehmen von der EEG-Umlage geändert werden. Allerdings deuteten mehrere Vertreter der Länderkammer baldige Nachbesserungen an.
Anhebung der Ghetto-Renten
Tausende Überlebende aus Ghettos der Nazizeit haben Anspruch auf eine Rentennachzahlung. Der Bundesrat genehmigte am Freitag eine vom Bundestag verabschiedete Gesetzesnovelle. Sie sieht für sämtliche Betroffene eine Rentenzahlung rückwirkend zum Jahr 1997 vor - auch in jenen Fällen, in denen die sogenannte Ghetto-Rente zunächst nur rückwirkend für vier Jahre gewährt worden war.
Mindestabstand bei Windrädern
Die Bundesländer können künftig Mindestabstände zwischen Windrädern und Wohngebieten von weit über einem Kilometer selbst festlegen. Der Bundesrat erlaubte eine entsprechende Änderung des Baugesetzbuchs.
Sinkende Beiträge
Der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung sinkt im nächsten Jahr auf 14,6 Prozent - der Bundesrat billigte ein entsprechendes Gesetz. Momentan liegt der Satz bei 15,6 Prozent des Bruttoeinkommens. 0,9 Prozentpunkte davon trägt derzeit allein der Arbeitnehmer. Aufgrund der guten Finanzlage der Kassen soll dieser Anteil ab 1. Januar 2015 entfallen.
Resolution zu TTIP
Die Bundesländer dringen auf mehr Transparenz bei den Verhandlungen über das von EU und USA geplante Freihandelsabkommen TTIP. Eine so umfassende Erweiterung der vertraglichen Bindung der EU könne nur nach einer ausführlichen öffentlichen Debatte beschlossen werden, heißt es in einer beschlossenen Resolution. Allen gesellschaftlich relevanten Gruppen müsse die Möglichkeit eingeräumt werden, sich an einer Diskussion zu beteiligen. Agenturen/nd
Die Grünen haben Einfluss auf sieben Landesregierungen, die über 34 von 69 Bundesratsmandaten verfügen. Gemeinsam mit den vier brandenburgischen Mandaten ergibt dies die Mehrheit, die für die zustimmungspflichtige Asylnovelle benötigt wird. Auch wenn sich die Länder mit grünen und linken Regierungsbeteiligungen nur enthalten, wie dies bei internen Differenzen üblich ist, wäre die Verschärfung des Asylrechts passé. Bayern droht deshalb seinerseits damit, die zuvor beschlossene Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts in der Länderkammer zu blockieren.
Trotz ihres Muskelspiels befindet sich die Union in einer Sackgasse. Der Doppelpass hat den Bundestag passiert. CDU und CSU haben das Gesetz zwar von der Tagesordnung der Länderkammer absetzen lassen. Aber sie haben dort keine Mehrheit. Und Bayern hat nur sechs Stimmen. Wenn die Bundesratsmehrheit das Gesetz will, ist die Union zu schwach, dies zu verhindern.
Die Union kann sich bei den sozialdemokratischen Landesfürsten bedanken, dass es bislang noch nicht zu diesem Offenbarungseid gekommen ist. Sie lassen ihrem Koalitionspartner im Bund in der Länderkammer eine erstaunliche Schonung zu Teil werden. Offenbar schreckt die SPD noch davor zurück, die Union mit Hilfe der in den Ländern mitregierenden Oppositionsparteien zur Räson zu bringen. Und die Grünen? Sie haben für ihre konzertierte Aktion zu Recht einiges Lob eingeheimst. Doch was können sie bei Verhandlungen gewinnen? Auch sie könnten ihr Gesicht verlieren, wenn sie sich hier ohne Not auf faule Kompromisse einlassen.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!