Elegant statt grübelig
Im fünften Wettbewerbsanlauf holte sich Rüdiger Dorn den nationalen Titel »Kennerspiel des Jahres«
nd: Mit welchem Gefühl sind Sie zur Preisverleihung nach Berlin gefahren?
Dorn: Ich bin ein sehr emotionaler Mensch. Solche Hop- oder Top-Situationen, wo einer den Titel bekommt und die anderen nicht, sind für mich enorm anstrengend. Sie reißen mich aus meiner Welt, und ich würde sie gern vermeiden. Zur Preisverleihung bin ich vor allem meinem Redakteur Ralph Bruhn zuliebe gefahren. Ralph war sehr stolz über die Nominierung und hat am Telefon gesagt, er würde sich freuen, wenn wir als Entwicklerteam gemeinsam auftreten.
Wie ist Ihr Spiel »Istanbul« entstanden?
Am Anfang war die Idee eines Spiels mit verschiedenen Orten, aber ohne festen Spielplan. Es sollte durch den variablen Aufbau in jeder Partie anders sein. Vor vier Jahren habe ich meinen Entwurf Ralph gezeigt. Parallel arbeiteten wir noch an einem zweiten Spiel: »Il Vecchio«. Das ging schneller. An »Istanbul« haben wir dann schließlich ein bis eineinhalb Jahre intensiv gearbeitet.
Das geschäftige Treiben eines türkischen Basars, verdichtet auf nur 16 Spielfelder. Und diese lassen sich in jeder Partie neu anordnen. So sind die Wege und damit auch die Strategien jedes Mal andere. In »Istanbul«, das eine unabhängige Kritikerjury aus dem deutschsprachigen Raum am vergangenen Montag zum »Kennerspiel des Jahres« gewählt hat, wollen zwei bis fünf Kaufleute per Tauschhandel möglichst schnell an fünf Rubine gelangen.
Im Tuchlager gibt es Stoffe, im Obstlager Früchte: Der Spieler muss nur dorthin eilen, schon darf er sich seinen Karren voll laden - was gigantischer klingt, als es zunächst ist. Alle Jungunternehmer starten mit sehr bescheidenen Transportmitteln, viel Ware passt da gar nicht hinein. Und so lautet eine entscheidende Frage, nachdem am Marktstand die ersten Geschäfte abgewickelt sind: Soll der Gewinn zunächst in eine verbesserte Logistik fließen oder gleich beim Edelsteinhändler für den ersten der begehrten Klunker verprasst werden?
Das originellste Element in »Istanbul« ist die Zugweise: Jeder Spieler startet mit einem Turm aus Spielsteinen, die einen Kaufmann und seine vier Gehilfen darstellen. An sämtlichen besuchten Orten bleibt ein Helfer zurück, wickelt die Geschäfte ab und ruht sich anschließend aus. Holt der Chef sein Personal nicht rechtzeitig wieder ab, muss er später einen Zug opfern, um die verstreute Belegschaft am zentralen Brunnen zusammenzutrommeln. In dem von Rüdiger Dorn ausgeklügelten Szenario entscheiden Tempo und Effektivität. Kurze Spielzüge geben »Istanbul« einen rasanten Rhythmus. Udo Bartsch
»Istanbul« von Rüdiger Dorn, Pegasus Spiele, für zwei bis fünf Spieler ab 10 Jahre, ca. 35 Euro.
Der Wettlauffcharakter des Spiels sorgt dafür, dass sich »Istanbul« statt grübelig sehr elegant anfühlt. Wann hat sich dieses Element herauskristallisiert?
Der Wettlaufcharakter war von Anfang an enthalten. Allerdings funktionierte der Zugmechanismus ursprünglich noch komplett anders über Karten. Das hat sich im Laufe der Tests als zu aufwendig und restriktiv herausgestellt. Nachdem ich den jetzigen Zugmechanismus gefunden hatte, wurde das Wettrennen wesentlich ausgeprägter.
Wie ist das Spiel zu seinem Thema gekommen?
Als erstes war der Mechanismus da. Über das Thema mache ich mir zu dem Zeitpunkt noch nicht so viele Gedanken; wichtig ist erst mal, dass das Spiel funktioniert. Ob ich als Kaufmann in Venedig oder in Genua bin, ist austauschbar. Mit Ralph habe ich dann per E-Mail mehrere Themenvorschläge diskutiert. Wer letztendlich »Istanbul« vorgeschlagen hat, weiß ich nicht mehr. Der Titel war noch nicht besetzt, deswegen haben wir uns dafür entschieden.
Wann merken Sie: Ein Spiel ist fertig?
Fertig ist ein Spiel eigentlich nie. Es lässt sich ständig weiterentwickeln. Selbst wenn das Gerüst mit den wesentlichen Säulen steht, setzt man sich noch mal hin und probiert jedes einzelne Detail durch: Sind die Kosten an jedem Ort ausbalanciert? Sind bestimmte Karten zu stark, andere zu schwach?
Wenn ein Spiel sich ständig weiterentwickeln lässt, haben Sie wahrscheinlich schon Ideen für eine Erweiterung?
Ja, tatsächlich wird eine Erweiterung erscheinen, und das hat nichts damit zu tun, dass »Istanbul« nun den Titel gewonnen hat. Als das Spiel fertig produziert war, habe ich es natürlich sofort gleich einige Male gespielt und gemerkt: Da lässt sich noch etwas herausholen! Die Erweiterung wird im kommenden Frühjahr erscheinen.
Mit wem testen Sie?
Ich teste mit Bekannten und in Spieleclubs, beides aber eher unregelmäßig. Vor allem teste ich mit meiner Frau Maja und meinem 15-jährigen Sohn Hagen. Maja ist wesentlich rationaler als ich. Sie durchblickt ein Spielsystem und kann sofort sagen, was ihr nicht gefällt und wo noch Mängel sind. Ich gehe dann spazieren und durchdenke das.
Der Aufwand, so ein Kennerspiel zu entwickeln, lässt sich kaum bemessen. Was ist Ihre Motivation?
Ich bin nicht darauf angewiesen, mit meinen Spielen Geld zu verdienen. Auflagenzahlen interessieren mich nicht, über die Verkäuflichkeit mache ich mir keine Gedanken. Ich spiele eben wahnsinnig gerne, und in meinem Kopf wachsen bestimmte Ideen. Ich setze einfach das um, was mir Spaß macht.
Mit einer Stunde Spieldauer ist »Istanbul« im Bereich für Kenner ungewohnt kompakt. Gewollt?
Ich sehe einen Trend, dass es im Bereich der Expertenspiele immer komplexer wird. In manche Spiele werden fast schon zwanghaft noch mehr Elemente und noch mehr Handlungsstränge hineingebracht. Ich bin von solchen Spielen abgekommen, weil ich keine Lust habe, meinen Mitspielern fünf Minuten beim Grübeln zuzuschauen, bis sie endlich einen Zug machen. Mit der Wahl von »Istanbul« hat die Jury ein Zeichen gesetzt, dass ein Spiel gehaltvoll sein kann, selbst wenn es nur 60 Minuten dauert und sogar Würfel enthält.
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