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Raketen unter Betten der Kinder?

Israels Regierenden fällt es immer schwerer, den Sinn des Gaza-Krieges zu erklären

  • Oliver Eberhardt, Tel Aviv
  • Lesedauer: 4 Min.
Zum Ende des Fastenmonats Ramadan hat es für die Menschen im Gaza-Streifen kaum Entspannung gegeben; eine informelle Waffenruhe währte nur kurz. Und nun streiten sich auch die Vermittler.

»Mama, hat da überall die Hamas gewohnt?«, ruft der Junge, um die acht. Im Fernseher, der in wohl nahezu jedem israelischen Café hängt, zeigen sie gerade Satellitenbilder eines Stadtteils von Gaza: vorher und nachher. Intakt. Und zu einem großen Teil verwüstet. Das Militär will damit vermutlich der Öffentlichkeit zeigen, dass der Militäreinsatz erfolgreich ist. Denn einer Umfrage zufolge sind zwar 86 Prozent der Israelis gegen einen Waffenstillstand. Aber nur rund 24 Prozent sind der Ansicht , dass die Operation gute oder sehr gute Erfolge erzielt hat.

Das ist kein Wunder: Die Zustimmung zu Militäreinsätzen ist in Israel immer hoch, während sie am Laufen sind. Denn jeder, der gedient hat, hat vom ersten Tag der Grundausbildung an beigebracht bekommen, dass man Politik in der Knesseth macht und dass nur totale militärische Überlegenheit das Ziel erreicht. Auch dieser Junge im Café wird dies wahrscheinlich einmal beigebracht bekommen.

Doch im Moment gehört er zu jenen Kindern und Jugendlichen, die tagtäglich Bilder von flüchtenden Menschen mitbekommen, die Sirenen hören und manchmal auch einen Raketeneinschlag. In den Schulen würden momentan sehr oft kritische Fragen gestellt, berichtet die Lehrergewerkschaft, deren Mitglieder den Schülern den Sinn des Krieges erklären sollen, ohne Hass zu schüren, so die Richtlinien. »Die Hamas versteckt Tunnel und Raketen unter den Betten der Kinder«, sagt die Mutter im Café und putzt dem Kleinen Schokolade vom Mund. Der erwidert: »Aber muss die Armee den Kindern dann nicht helfen?«

Die nur 24 Prozent, die an den Erfolg glauben, machen auch den Politstrategen in Jerusalem Sorgen. Denn dort weiß man: Ziemlich bald werden die kritischen Fragen auch von viel mehr Erwachsenen gestellt werden als jenen, die am Samstagabend in Tel Aviv demonstriert haben. Anderen Umfragen zufolge lehnen vor allem so viele Israelis einen Waffenstillstand ab, weil sie keine vernünftigen Ansätze für eine diplomatische Lösung sehen. 53 Prozent bezweifeln, dass die Ziele des Krieges überhaupt umsetzbar sind. Bislang beschränken sich Regierung und Militär auf eine verwirrende Serie aus Waffenstillständen und Kämpfen, die eher aus der Not heraus geboren sind. Denn am Montag ging mit dem Feiertag Eid al-Fitr der Ramadan zu Ende. Das gesamte Wochenende über bemühten sich Vermittler aus aller Welt, beide Seiten dazu zu bewegen, für die Zeit des Festtages eine humanitäre Feuerpause einzulegen. Doch mal wollte die eine Seite nicht, dann die andere. Am Ende schaffte man es in der Nacht zum Sonntag und einige Stunden am Montag zumindest, das Feuer einzudämmen. Israels Soldaten wurden angewiesen, nur im Falle von Angriffen zu schießen; von Seiten der Essedin-al-Kassam-Brigaden wurden nur vereinzelt Raketen abgeschossen, auf die Israel dann mit Artilleriefeuer reagierte.

Dass man sich nicht einmal auf eine humanitäre Waffenruhe einigen kann, die länger als ein paar Stunden hält, liegt daran, dass es derzeit nicht nur keinen Vermittler gibt, der für beide Seiten akzeptabel ist - die betreffenden Regierungen sind auch untereinander zerstritten.

So wirft die Hamas Ägypten vor, auf Seiten Israels in den Krieg einzugreifen, während Israel auf eine Initiative Ägyptens als Verhandlungsgrundlage besteht: Erst soll das Feuer eingestellt, dann geredet werden. Die Hamas hingegen besteht auf einem Vorschlag Katars und der Türkei, der die Erfüllung von Forderungen beider Seiten im Austausch für eine Waffenruhe vorsieht, was Israel aber ablehnt, und sowohl Kairo als auch die palästinensische Regierung aufgebracht hat. Dort wirft man den beiden Regierungen vor, sie seien Ägypten und Ramallah in den Rücken gefallen; man fühlt sich marginalisiert.

Noch größer wurde der Ärger, als US-Außenminister John Kerry am Freitag einen Vorschlag vorlegte, der auf der Doha/Ankara-Initiative aufbaut. Israels Sicherheitskabinett lehnte die Vorlage einstimmig ab; Regierungschef Benjamin Netanjahu nannte den Vorstoß »inakzeptabel«. Berater des Premiers warfen Kerry zudem »Realitätsverlust« vor. Am Sonntag meldete sich deshalb Präsident Barack Obama telefonisch bei Netanjahu, nannte das Verhalten »beleidigend«. Ein Waffenstillstand, der die langfristigen Bedürfnisse Gazas mit einbezieht, sei ein strategischer Imperativ, so das Weiße Haus. Israel müsse die Auswirkungen des Einsatzes stärker berücksichtigen.

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