Truppenrückzug aus Gaza - und dann?
Israels Regierung ist sich offenbar über ihre strategischen Pläne gegenüber den Palästinensern nicht einig
Die Vorbereitungen für die Zeit nach dem Krieg laufen auf Hochtouren. Doch sie sie sehen nicht so aus, wie man es erwarten würde: In Jerusalem bereiten sich Politiker aller Couleur darauf vor, jede Entscheidung, jeden Einsatz dieses Konflikts auseinander zu nehmen: Untersuchungsausschüsse drohen: »Es gibt schwierige Fragen, auf die wir gerne eine Antwort hätten«, sagt Zeew Elkin, Abgeordneter der rechten Jisrael Beitenu und Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Parlament: Sobald der Krieg vorbei sei, werde der Ausschuss die Entscheidungsträger befragen, und einen Schwerpunkt werde die Frage bilden, warum das Militär nicht auf die Tunnel vorbereitet gewesen sei.
Deren Zerstörung ist, so die offizielle Position der Armee, nun abgeschlossen. Am Sonntag wurde ein Großteil der Militäreinheiten aus dem Gazastreifen zurück beordert; die Luftwaffe flog nur noch vereinzelte Angriffe. Es ist ein Ende, das recht abrupt wirkt, und nicht nur Israels Rechte, auch Linke wollen nun gerne wissen, warum das so ist. »Ganz ehrlich: Aktuell stehe ich hier etwas auf dem Schlauch,« sagt Jitzhak Herzog, Vorsitzender der Arbeiterpartei: »Dass der Militäreinsatz beendet werden muss, sagen wir bereits seit langer Zeit. Aber das wirkt doch sehr wie aus heiterem Himmel.«
Denn zum einen dringen immer wieder Berichte an die Medien, denen zufolge die Tunnel keinesfalls komplett zerstört seien: Soldaten fänden noch kurz vor dem Abzug immer weitere Eingänge. Zum anderen hatte Operation »Schutzrand« ursprünglich ein ganz anderes Ziel: Den Raketenbeschuss auf Israel zu beenden und dauerhaft zu unterbinden. In der vergangenen Woche hatte Regierungschef Benjamin Netanjahu sogar noch angekündigt, das Militär werde den Gazastreifen selbst entmilitarisieren, falls die internationale Gemeinschaft nicht aushelfe. Doch am Sonntag wurden nach wie vor Raketen abgeschossen, während die Soldaten unter heftigem Feuer durch Kämpfer von Ezzedin-al-Kassam-Brigaden und Islamischem Dschihad abzogen; für die Menschen im Umland hat sich die Lage nicht verbessert.
Noch am Freitag war ein Waffenstillstand, der auf Druck der USA und der Vereinten Nationen zustande gekommen war, bereits nach kurzer Zeit gescheitert. Der Grund dafür war, sagt die Hamas, eine Panne: Da die Strom- und Telefonverbindungen weitgehend zerstört sind, habe man Schwierigkeiten gehabt, mit den einzelnen Milizen zu kommunizieren. Allerdings ist es auch so, dass die Kassam-Brigaden einen Waffenstillstand kategorisch ablehnten.
Kurz darauf kam es erneut zu einem Eklat zwischen Netanjahu und US-Präsident Barack Obama: Der solle künftig die Entscheidungen Netanjahus nicht mehr hinterfragen, habe der Premier gefordert, so die offizielle Version seines Büros.
Dort betont man, der Krieg sei keineswegs vorbei: Es habe sich nur die Gangart geändert; man werde zurückschlagen, wenn man angegriffen werde. Doch der Rechten ist das nicht genug: Sie fordert schärfer denn je eine Fortsetzung der Bodenoffensive und eine weitgehende Zerschlagung der Hamas, damit die palästinensische Regierung in Ramallah Gaza unter alleinige Kontrolle nehmen kann.
Doch dort gibt man sich mittlerweile zurückhaltend: Ein solcher Machtwechsel sei ein langwieriger Prozess, sagen Mitarbeiter von Präsident Mahmud Abbas, und äußern die Befürchtung, dass ein solcher Schritt, wenn er schlecht geplant ist, das Todesurteil für die Fatah-Fraktion bedeuten könnte. Denn sie wird, dessen ist man sich in Ramallah sehr bewusst, von vielen im Westjordanland und noch mehr Menschen im Gazastreifen als Erfüllungsgehilfin Israels gesehen.
Pläne für die Zeit nach dem Kriegsende gibt es nach wie vor noch nicht; bekannt ist nur, was Israels Regierung nicht will: Die Blockade aufheben, so lange die Hamas noch einigermaßen im Sattel sitzt - man wolle ihr keinerlei Möglichkeit bieten, einen Sieg für sich in Anspruch zu nehmen. Doch der internationale Druck ist hoch: Auch wenn Washington, und viele andere Regierungen den Bruch des Waffenstillstandes verurteilen, wird die hohe Zahl an Opfern, die humanitäre Lage in Gaza kritisiert. Selbst wenn Israels Regierung sich aktuell nicht nur dagegen, sondern auch gegen die Lieferung von Materialien für den Wiederaufbau sperrt, weil sie von der Hamas für den Raketenbau eingesetzt würden: Man braucht selbst ebenfalls Hilfe, um die Milliardenkosten des Krieges zu stemmen.
Viele europäische Länder, aber auch die USA, machen die Unterstützung, vor allem im militärischen Bereich, davon abhängig, dass Israel Hilfen für den Gazastreifen zulässt.
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