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Ringen gegen den Faschismus

Ehrung des kommunistischen Arbeitersportlers Werner Seelenbinder, den die Nazis 1944 hinrichteten

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.
20 Menschen gedachten am Samstag an Werner Seelenbinder. Der 102 Jahre alte Zeitzeuge Alfred Wittig ließ schön grüßen.

Anders als vor zwei Jahren konnte Zeitzeuge Alfred Wittig diesmal nicht dabei sein, als am Samstagnachmittag in der Glatzer Straße 6b an Werner Seelenbinder erinnert wurde. Beide waren Sportler, Kommunisten und Widerstandskämpfer. Um 1929 herum hatten sie in Friedrichshain eine alte Fabrik zu einer Turnhalle für Arbeitersportler umgebaut. Daher kannten sie sich - Wittig und der später berühmte Seelenbinder, der als Ringkämpfer sechs Deutsche Meistertitel holte und bei den Europameisterschaften 1937 und 1938 jeweils den dritten Platz belegte.

Die Nazis ermordeten Seelenbinder am 24. Oktober 1944 im Zuchthaus Brandenburg. Er hatte Reisen zu Wettkämpfen ins Ausland benutzt, Kurierdienste für die KPD zu erledigen. Die Widerstandsgruppe um Robert Uhrig und Alfred Kowalke, der er sich angeschlossen hatte, war 1942 aufgeflogen.

Wittig überlebte. Er ist mittlerweile 102 Jahre alt. Sein 74-jähriger Freund Kurt Schettlinger wollte ihn am Samstag wieder einmal aus dem Seniorenheim abholen und zur Ehrung von Werner Seelenbinder in die Glatzer Straße in Friedrichshain bringen. Doch aus gesundheitlichen Gründen musste Wittig kurzfristig absagen. »Er lässt alle schön grüßen«, sagte Schettlinger.

20 Menschen versammelten sich vor der Glatzer Straße 6b, viele junge Leute darunter, Eltern mit ihrem Kind und auch ein Veteran des Widerstandskampfes mit seiner Frau, die auf extra herangeschafften Stühlen Platz nahmen. In dem Haus hatte Seelenbinder einst gewohnt, worauf eine Gedenktafel an der Fassade hinweist. Dort lagen jetzt Blumen, dort lehnten Fahnen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Unter die Tafel hängte Kurt Schettlinger ein Foto Seelenbinders, das den muskulösen Athleten mit freiem Oberkörper und sympathischem Lächeln zeigt. Die Aufnahme diente als Motiv einer Postkarte, die den Ringkämpfer als deutschen Meister im Halbschwergewicht vorstellt - 1933, als er den Titel das erste Mal gewonnen hatte, wie Schettlinger erzählte. Weil Seelenbinder bei der Siegerehrung den Hitlergruß verweigerte, sperrten ihn die Nazis das erste Mal ins KZ. Er durfte ein Jahr lang keine Wettkämpfe bestreiten.

Für die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin qualifizierte sich Seelenbinder, sagte Stefan Natke, DKP-Vorsitzender im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Der Ringer habe aufs Treppchen gewollt, um dann auf dieser internationalen Bühne erneut demonstrativ auf den Hitlergruß zu verzichten. Doch der Plan sei gescheitert, weil Seelenbinder »nur« den vierten Platz belegte.

In der DDR wurden Straßen, Schulen und Sportplätze nach dem mutigen Ringer benannt. »Man kann über den sogenannten verordneten Antifaschismus in der DDR denken, wie man will, aber er ist besser, als gar kein Antifaschismus«, urteilte Natke. Er warnte, dass Widerstandskämpfer in Vergessenheit geraten. Seelenbinder immerhin wurde 2008 in die Ruhmeshalle des deutschten Sports aufgenommen - mit ausdrücklichem Hinweis nicht nur auf seine Wettkampferfolge, sondern auch auf sein Ringen gegen den Faschismus.

Als alle auseinandergingen, versuchte einer noch, zwei vorbeiflanierende Mädchen auf die Gedenktafel hinzuweisen. Heute sei der 110. Geburtstag von Werner Seelenbinder, erläuterte er. Doch die Mädchen winkten desinteressiert ab.

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