Netanjahu am Ende seines Kriegslateins
Israels Regierungschef gerät in der Debatte über die Gaza-Strategie zunehmend in die Kritik
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu gibt sich staatsmännisch: Am Montag besucht er Soldaten, die im Gaza-Krieg verletzt wurden, lobt deren Opfer »für die Sicherheit Israels«. Das hat er oft, sehr oft getan, im Laufe der vergangenen Wochen. Doch etwas ist anders geworden. Noch in der vergangenen Woche hatte er sich bei der Beerdigung eines Soldaten kämpferisch gegeben, mit unverzagter, autoritativer Stimme erklärt: »Ich werde tun, was notwendig ist, um sicherzustellen, dass alle Israels sicher leben können.« Und dann hatte er wie immer bei solchen Äußerungen die Hamas dafür verantwortlich gemacht, dass die Menschen im Gaza-Streifen nicht sicher leben können. Am Sonntag wandte er sich bei einer weiteren Beerdigung fast bittend an die Angehörigen: Die Tunnel seien nun zum größten Teil zerstört; die Söhne hätten ihr Leben nicht ohne Grund gelassen.
Doch Äußerungen wie diese können nicht verhindern, dass nun Netanjahu selbst unter Beschuss von allen Seiten gerät. Denn für viele Israelis kam der Abzug eines Großteils der Bodentruppen sehr abrupt. Und viele, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch der Politik, reagieren verwirrt darauf, dass aus der Bekämpfung des Raketenbeschusses, die ursprünglich das erklärte Ziel war, nun nur noch die Zerstörung der Tunnel das Operationsziel gewesen sein soll. Dass Israels Regierung den Krieg als Operation bezeichnet, hat übrigens finanzielle Gründe. Als Krieg deklariert, müssten den Geschädigten auf der israelischen Seite höhere Entschädigungen gezahlt werden.
Netanjahu selbst betonte am Sonntagmorgen, nachdem der Abzug der meisten Bodentruppen bekannt gegeben worden war, die »Operation« gehe weiter, man ändere nur die Gangart: »Ruhe für Ruhe« sei künftig der Weg. Verhandlungen über einen Waffenstillstand schloss er dabei aus.
Doch nun, nur einen Tag später, wird zunehmend deutlich, dass diese Vorgehensweise weder von der israelischen Öffentlichkeit, noch von der Politik, noch von der internationalen Gemeinschaft oder vom Kriegsgegner akzeptiert werden wird. Denn die Kämpfe gehen unvermindert weiter. Es werden weiter Raketen auf Israel abgeschossen, und Israels Militär greift immer wieder Ziele im Gaza-Streifen an. Und so gab man in Israel allerorten das bis dahin praktizierte öffentliche Schweigen auf und begann sehr laut zu fordern, Netanjahu möge bitte endlich seine Strategie vorlegen. Es sei offensichtlich, dass der Krieg nicht das Ergebnis gebracht habe, dass man erwartet habe, sagt man auf der Linken wie der Rechten.
Doch einen Pan für die Zeit nach dem Krieg können auch Mitarbeiter Netanjahus, der sich selbst nicht äußert, nicht nennen. Viel lieber spricht man darüber, was man nicht möchte: dass die Hamas Material bekommt, um Tunnel und Raketen zu bauen, und auch einen formellen Waffenstillstand will man nicht. Denn dies könnte die Hamas als Sieg auslegen. Und im Hause Netanjahu verweist man nach wie darauf, dass die Hamas nachhaltig geschwächt sei.
Aber selbst Außenminister Avigdor Lieberman von der rechten Jisrael Beitenu bezweifelt, dass dies der Fall ist. Er hat mittlerweile seine Forderung nach einer Zerschlagung der Hamas zugunsten eines diplomatischen Prozesses aufgegeben, der die Stärkung der palästinensischen Regierung in Ramallah beinhaltet. An den Grenzen Gazas sollte seiner Ansicht nach eine ausländische Beobachtermission stationiert werden.
Ein enger Mitarbeiter Liebermans bezeichnete den gemeinsamen Forderungskatalog, den die palästinensischen Fraktionen, darunter die Fatah von Präsident Mahmud Abbas, vorgelegt hatte, als »diskussionswürdig«. Vor allem hat man zur Kenntnis genommen, dass in der Vorlage die Verwaltung von Wiederaufbauhilfen, acht Milliarden Euro werden dafür insgesamt notwendig sein, und Hilfsgütern an die Verwaltung von Abbas übertragen wird.
Auch die Linke fordert nun einen diplomatischen Prozess. Jitzhak Herzog, Vorsitzender der Arbeitspartei, sagte, der palästinensische Vorschlag öffne die Tür auch für eine Wiederaufnahme über einen endgültigen Friedensvertrag: »Dies ist eine einmalige historische Chance.«
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