Vom Kopf auf die Beine
Verbraucherorganisation Foodwatch will Lebensmittelrecht grundlegend überholen
Ist das Dioxin-Ei erst gegessen, ist es zu spät. Mit dieser einfachen Formel erklärt Thilo Bode, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch, die Lücke, die zwischen dem europäischen Lebensmittelrecht und den ausführenden nationalen Gesetzen klafft. Verbraucher seien deshalb »im Grunde machtlos«, so Bode am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung der Foodwatch-Analyse »Rechtlos im Supermarkt«. Denn Kunden könnten die Lebensmittel weder umtauschen noch nachweisen, dass auftretende gesundheitliche Schäden tatsächlich durch den Verzehr entstanden sind. Wirksam geschützt seien Verbraucher vor schlechten Lebensmitteln nicht.
Dabei sieht das europäische Lebensmittelrecht durchaus vorsorgende Maßnahmen vor. Doch diese würden nur mangelhaft in nationale Gesetze umgesetzt. Vor allem die Lebensmittel- und Agrarlobby sei schuld daran, dass das Prinzip der Vorbeugung in der gesetzlichen Praxis unterlaufen werde und die Produzenten von den Futtermittelherstellern bis hin zum Einzelhandel aus der Pflicht genommen werde, sagte Bode.
So sei das Risiko für Mischfutterhersteller gering, wenn sie Chargen, die zu hoch mit Dioxin belastet sind, trotz Verbot unter die zulässige Höchstgrenze verdünnen. »Die Testpflichten sind so gering, dass ein Gifteintrag kaum verhindert werden kann«, erklärt Foodwatch. Systematische Eingangsuntersuchungen auf Dioxine gebe es trotz Ankündigungen der Bundesregierung nach dem letzten Dioxinskandal 2011 nicht, vorgeschrieben seien nur Stichproben pro 1000 Tonnen. Zudem blieben Hersteller straffrei, wenn sie sich selbst anzeigten. Statt mehr staatlicher Kontrollen fordert Foodwatch, dass die Futtermittelproduzenten gesetzlich verpflichtet werden sollen, alle Auslieferungen auf Gifte wie Dioxin zu untersuchen, sagte Bode.
Auch im Einzelhandel fehlen nach Einschätzung der Organisation Prüf- und Haftungspflichten. Supermarktketten könnten nicht für Etikettenschwindel haftbar gemacht werden, selbst wenn Produkte mit anderen als vorgetäuschten Inhalten als Eigenmarke verkauft werden. Das gelte auch bei Eigenmarken der Unternehmen. Auch hier sieht Foodwatch die Konzerne selbst in der Pflicht. Sie müssten verpflichtet werden, ihre Waren zu überprüfen und Transparenz über die Produktionswege herzustellen.
Der an dieser Stelle üblichen Kritik an der Schnäppchenmentalität erteilte Bode eine klare Absage: »Verbraucher müssen sich auch bei billigen Lebensmitteln sicher sein können, dass ihre Gesundheit nicht gefährdet ist.« Zudem zeigten die vergangenen Skandale, dass der Preis nicht ausschlaggebend für Betrug sei.
Gesetzliche Vorschriften etwa über Prüfpflichten seien zudem Voraussetzung dafür, die auch in der Politik immer wieder geforderten härteren Strafen überhaupt durchsetzen zu können. Denn nach den letzten Lebensmittelskandalen lag nach Rechtslage gar kein Verstoß vor. Nur mit einer Umkehrung der Gesetzesprinzips bekämen Verbraucher eine Chance, sich zu wehren, sagte Bode. »Alle Gesetze müssen sich daran messen lassen, ob die den Prinzipien des vorsorgenden Gesundheitsschutzes und des präventiven Schutzes vor Täuschung dienen.«
Legal getäuscht wird laut Foodwatch auch bei Verpackungen. Zum Beispiel dürfe der Früchtetee »Mirabelle« ganz legal diesen Namen tragen und sogar frische Mirabellen auf der Verpackungen zeigen, auch wenn weder Mirabellen noch deren Aroma im Tee vorhanden sind.
Das Bundesernährungsministerium wies den Eindruck zurück, die Verbraucher seien im Supermarkt quasi schutzlos. »Es gibt keine große Regelungslücke im Lebensmittelrecht«, sagte ein Sprecherin in Berlin gegenüber der dpa. Die Studie stelle die Verhältnisse teils verzerrt, teils sogar falsch dar.
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