Ist ein Traum und kann wirklich sein ...
Bei den Salzburger Festspielen präsentieren Harry Kupfer und Franz Welser-Möst einen »Rosenkavalier«, der begeistert
Man ist halt, was man ist, und braucht’s nicht zu beweisen, sagt der der alte Schwerenöter Baron Ochs auf Lerchenau zum noch grünschnäbligen, in Sachen Frauen auch schon ziemlich rührigen Grafen Octavian, als der ihn herausfordern will. Gerade eben hat der Jüngere als Rosenkavalier die Hochzeit des Älteren mit der jungen Sophie Faninal durch die Übergabe der silbernen Rose vorangebracht, die den verarmten Landadligen sanieren will. Und schon will er selbst am liebsten der Bräutigam werden. Dabei hatte er noch am Morgen dieses Tages seiner Geliebten, der verheirateten, doppelt so alten Marie-Therese ewige Liebe geschworen. Und war fast beleidigt, als die ihm voraussagte, dass er sie heute oder morgen wegen einer anderen, schöneren, vor allem aber jüngeren Frau verlassen würde.
Dieses »man ist halt, was man ist, und braucht’s nicht zu beweisen«, das haben sich offenbar auch Regisseur Harry Kupfer und sein Stammbühnenbildner Hans Schavernoch gesagt. Kupfer, dieser Altmeister der packenden Personenregie und des ambitionierten Eindringens in die Stücke, muss natürlich niemandem nix beweisen, sondern kann es sich leisten, mit einer - man möchte fast sagen: - konventionellen Erzählweise zu verblüffen. Bei ihm und seinem ebenso hochprofessionellen Team wird das dann nicht nur dennoch faszinierendes und beglückendes Musiktheater, sie schaffen es sogar, aus der hinterhältigen Übergröße der Breitbandbühne im Großen Festspielhaus einen Vorteil zu machen. Schavernoch hat alle Unarten, die seine Bühnenbilder manchmal lädieren, weggelassen. Und betörend schöne, ja: Fotogemälde, die jedem Wien-Fan das Herz höher schlagen lassen, als bühnenfüllende Hintergrundprospekte fabriziert.
Den Blick auf die Kuppel der Hofburg aus dem Schlafzimmer. Fassaden mit Gaslaternen. Das Interieur der Ring-Prachtbauten wie des Kunsthistorischen Museums als Palais der neureichen Faninals. Baumalleen aus dem Prater. Das ist in der Kombination mit ein paar Möbeln und Portalen so grandios, wie das Prater Beisl vor dichtem Grün im dritten Aufzug anheimelnd. Diese wechselnden Bilder werden in ihrer puren Größe zum genialen Kunstgriff, um auf der übergroßen Bühne dennoch intim wirkende Räume zu schaffen.
Etwas ist bei Kupfer natürlich doch anders und besonders. Für seinen Baron Ochs bleibt Günther Goissböck so jung und attraktiv, wie der Sänger es wirklich ist, und der Ochs bei Strauss eigentlich sein soll. Hier ist er (endlich) mal ein glaubwürdiger Don Juan vom Lande. Entscheidend freilich ist seine Perspektive auf das Prunkstück des kongenialen Dichter-Komponisten-Duos Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss: Er schaut auf das Uraufführungsjahr nicht von heute aus (also mit dem Wissen um die 1914 hereinbrechende Katastrophe), sondern quasi aus der Perspektive einer vergangenheitsseligen Epoche, über der der blaue Himmel eines langen Friedens schien. Dieses genial erfundene Wien des 18. Jahrhunderts funktioniert so eben auch, wenn es durch Architektur und Kostüme in die Entstehungszeit verlegt ist - und nicht mit dem Wissen um die damals bevorstehende Zukunft überblendet wird.
Musikalisch gehört dieser »Rosenkavalier« zum Besten, was seit Langem im Großen Salzburger Festspielhaus zu erleben war. Die Wiener Philharmoniker mit Franz Welser-Möst (der eigentlich in Salzburg nicht mehr dirigieren wollte) sind in Strauss-Hochform. Das schaffen sie höchsten in Dresden so, wenn sie einen guten Tag haben. Alle vier Hauptrollen sind optisch und vokal grandios besetzt. Krassimira Stoyanovas Feldmarschallin ist wahrhaft fürstlich, Sophie Kochs Octavian wunderbar jungmännlich, die Sophie von Mojca Erdmann die verführerische, selbstbewusste Zartheit pur. Sie alle sind einzeln, als wechselnde Paare und im Terzett der pure Strauss-Traum. Der Ochs eine Klasse für sich, jede Nebenrolle exzellent profiliert. Es ist ein Traum, der wirklich ist. In diesem Salzburger Festspielsommer.
Ein Mitschnitt der Aufführung wird am 18.8.t, 22 Uhr, vom ORF 2 und am 21.8., 22.45 Uhr, vom BR ausgestrahlt.
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