Prüfungsangst, Lernstörungen, Erschöpfung
Leipziger Studenten nutzen psycho-soziale Beratung
Mit der Diplomarbeit kommt für Martin Trippmacher die Angst vor der Zukunft. Der Medientechniker weiß nicht, wie es nach dem Studium weiter gehen soll, und wichtige Prüfungen stehen auch noch aus. »Da kam plötzlich alles auf einmal, die Diplomarbeit, Prüfungen, Hausarbeiten. Und ich bin zusammengebrochen«, erzählt der heute 33-Jährige. 2010 gründet Trippmacher in Leipzig die Selbsthilfegruppe geist:reicht für Studenten mit psychischen Problemen. Einmal in der Woche treffen sie sich, um sich auszutauschen. In den vergangenen vier Jahren haben mehr als 120 Studenten den Kontakt gesucht.
Auch fast alle Studentenwerke in Deutschland bieten inzwischen eine psychologische Beratung an. Die Nutzung dieser Angebote habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, berichtet Astrid Schäfer, Leiterin des Referats Beratungsangebote beim Deutschen Studentenwerk. Im Studienjahr 2012/2013 hätten mehr als 30 000 Studenten eine psychologische Beratungsstelle eines Studentenwerkes besucht. 2005/2006 seien es noch weniger als 20 000 gewesen.
»Die Studienstrukturen haben sich verändert. Sie lassen den Studierenden weniger Zeit und Raum, sich im Studium zurechtzufinden«, erklärt Schäfer. Lern- und Arbeitsstörungen, Selbstwertprobleme, Prüfungsangst und Erschöpfung gehörten zu den häufigsten Anliegen, mit denen Studenten eine Beratungsstelle aufsuchten.
Allein anhand der gestiegenen Beratungszahlen dürften jedoch keine vorschnellen Schlüsse gezogen werden, meint Rainer M. Holm-Hadulla. Der Professor für Psychotherapeutische Medizin an der Universität Heidelberg geht davon aus, dass zwischen 15 und 20 Prozent aller Studenten an ausgeprägten psychischen Störungen leiden. Diese Zahl habe sich in den vergangenen Jahren allerdings nicht signifikant verändert. Viele Studenten suchten die Beratungsstellen präventiv auf.
»Die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber psychologischen Hilfeleistungen ist gestiegen. Heute wird damit tabuloser umgegangen«, sagt Holm-Hadulla. Anhand von Studien lasse sich nicht nachweisen, dass etwa die Umstellung auf das Bachelor-Master-System einen Anstieg psychischer Erkrankungen unter Studenten ausgelöst hätte. »Heute kommen die Studierenden früher in die Beratung, schon allein, weil die Studienordnung viel früher Prüfungen vorsieht«, so der Professor.
Der Wissenschaftler weiß aber auch, dass viele Studenten die psycho-soziale Beratung nicht nur aufgrund von Studienproblemen aufsuchen. Die Studienzeit stelle eine wichtige Phase für die Persönlichkeitsentwicklung dar. »Die Loslösung vom Elternhaus, der Aufbau neuer Beziehungen und die Entwicklung neuer Werte - all das kann Krisen auslösen«, erklärt Holm-Hadulla. Insgesamt seien Studenten jedoch nicht öfter von psychischen Erkrankungen betroffen als der Durchschnitt der Bevölkerung.
Für Martin Trippmacher waren die Angebote der Hochschule nicht ausreichend. Erst in der Selbsthilfegruppe hat er Kommilitonen mit ähnlichen Problemen gefunden. »Man denkt die ganze Zeit, man ist der einzige, der zu doof ist, das Studium zu schaffen. Zu erfahren, dass auch andere Probleme haben, hilft dann sehr«, sagt er.
Oft ist der erste wichtige Schritt für die Studenten, über ihre Ängste zu sprechen. Nach diesem Prinzip funktionieren die Nightlines, Zuhörertelefone von Studenten für Studenten. In 16 deutschen Städten gibt es das Angebot. dpa/nd
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