Neue Lage trifft alte Debatten

Der Krieg im Nordirak und deutsche Parteien

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.
Sollen die kurdischen Kämpfer im Nordirak gegen die Islamistenarmee mit Waffenlieferungen unterstützt werden? Keine leichte Frage für deutsche Parteien - nicht nur für die LINKE.

Die drastische Eskalation der Kämpfe zwischen kurdischen Milizen und der sunnitisch-islamistischen »Islamischer Staat«-Armee im Norden Iraks wirbelt auch in Deutschland Fronten durcheinander. Zum Beispiel in der Koalition. Dort preschte am Dienstag Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor: Man wolle nun helfen; das Ministerium prüfe konkrete Lieferungen »defensiver« Rüstungsprodukte - Schutzfahrzeuge, Nachtsichtgeräte oder Sprengfallendetektoren - an die irakische Armee, die dann an die Kurden weitergereicht werden könnten.

Bislang hatte sich die Bundesregierung auf jene sonst eher als lästig geltende Beschlusslage berufen, nach der Deutschland keine Waffen in Konfliktgebiete liefert. Die Verteidigungsministerin sieht aber keinen Widerspruch zwischen dieser Regel und den geplanten Rüstungsguthilfen. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) empfahl mittlerweile, hinsichtlich solcher Lieferungen »bis an die Grenzen des politisch und rechtlich Machbaren zu gehen«.

Zunächst hatten sich Politiker der zweiten Reihe wie der CDU-Außenpolitiker Karl Georg Wellmann oder der Unionsjustiziar Hans-Peter Uhl dafür ausgesprochen, den Kurden Waffen zu liefern - ein krasser Bruch mit der bisherigen harten Linie gegen die Kurden, die Kanzlerin Angela Merkel erst 2013 in der Türkei bekräftigt hatte. Würden nun Waffen geliefert, könnten diese in den unübersichtlichen Verhältnissen zwischen Syrien, Irak und dem türkischen Kurdengebiet durchaus in die Hände von PKK-Kämpfern geraten, die hierzulande als »Terroristen« verfolgt werden.

Aber auch auf der anderen Seite des Spektrums trifft die neue Lage auf alte Debatten: Bei der Linkspartei, die bisher dem Militärischen gegenüber sehr kritisch ist - aber stets Sympathie für die Sache der Kurden gehegt hat. Fraktionschef Gregor Gysi hatte in einem Interview mit der »tageszeitung« gesagt, in diesem »Ausnahmefall« spreche aus seiner Sicht nichts gegen Waffenlieferungen, sofern andere Länder dazu auf die Schnelle nicht bereit seien.

Ähnlich waren zuvor auch Aussagen der LINKE-Innenexpertin Ulla Jelpke gedeutet worden, die sich im Konfliktgebiet aufhält. Auf die Frage nach militärischen Mitteln hatte sie im »Deutschlandfunk« gesagt, sie sei »keine Militärexpertin«, aber »alleinlassen« dürfe man »die Menschen mit diesen Problemen nicht«. Nun stellte Jelpke allerdings klar, sie sei »total« gegen ein solches Ansinnen: »Wir sollten daran festhalten, dass auf jeden Fall keine Waffen in Spannungsgebiete gehen.«

Das Thema betrifft einen inhaltlichen Kernbestand der Linkspartei. Im Programm fordert sie nicht nur »das sofortige Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr«, sondern lehnt auch »eine Verknüpfung von militärischen und zivilen Maßnahmen« ab und plädiert für ein »Rüstungsexportverbot im Grundgesetz«.

Bislang verlief die Diskussion in der Partei nicht gemäß ansonsten üblicher Flügellogiken. So hatte etwa Fraktionsvize Dietmar Bartsch gesagt, es gebe in der Region schon genug Waffen - und die entwicklungspolitische Sprecherin Heike Hänsel äußerte sich in einem ähnlichen Sinn: »Weitere Waffenlieferungen wären eine kurzfristige Strategie«, die nur weiteres Leid anrichten würden. Sie plädiere für eine »konsequente Politik der Demilitarisierung, beginnend mit einem umfassenden Waffenembargo«. Die linke Flügelfrau Sevim Dagdelen hält Waffenlieferungen für »grob fahrlässig« - womöglich würde man diese schnell in den Händen der IS-Armee wiederfinden. Auch der außenpolitische Sprecher der LINKEN, Jan van Aken, hält nichts von Waffenlieferungen.

Gysi wiederholte am Dienstag gegenüber »nd« seine Aussage über den »Ausnahmefall« nicht. »Ich war und bleibe ein Gegner von deutschen Waffenexporten«, sagte er - und weder »Irak noch die Kurden fordern zur Zeit Waffen«. Er finde es »ungeheuerlich«, dass »die Bundesregierung an Länder wie Saudi-Arabien und Katar, aus denen heraus die ISIS-Armee bezahlt wird, unzählige Waffen liefert«, während Berlin dies »gegenüber Irak und den Kurden mit dem Hinweis auf ein Krisengebiet verweigert, obwohl der gesamte Nahe Osten ein Krisengebiet ist«. Nun brauche man »Beschlüsse des Sicherheitsrats der UNO auf der Grundlage ihrer Charta«, der Konflikt sei als Versuch einer Eroberung »von außen« zu verstehen.

Innenpolitisch plädiert Gysi derweil für eine rasche Aufhebung des PKK-Verbots, das in Deutschland inzwischen seit mehr als 20 Jahren besteht und zur Staatsraison der NATO-Macht Türkei gehört.

Auch in einer gemeinsamen Erklärung von Gysi und den beiden Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger ist von Waffenlieferungen keine Rede. Zwar sei jede Selbstverteidigung gegen den drohenden »Genozid« legitim, doch dürfe nun »nicht die Stunde der Interventionen« anbrechen. Deutschland müsse »sofort« Flüchtlingshilfe auf allen Ebenen gewähren. Eine »multilaterale Wende in der internationalen Bearbeitung der Konflikte im Irak und in Syrien«, heißt es weiter in dem Papier, erfordere auch »die Beendigung der aufziehenden neuen Ost-West-Konfrontation«. Die Welt, so das Papier, stehe nunmehr am »Scheideweg«.

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