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Mit dem Vindobona nach Wien
Osthavelländischer Verein restauriert Reichsbahnzug von 1963 und benötigt dafür Spenden
Nachgerüstete Abfallkörbe von der Deutschen Bahn AG müssen raus aus dem historischen Dieselzug, und auch die nach der Wende angeklebten Deutschlandkarten. Eine dieser Karten hat Gregor Schulz vom Verein Osthavelländische Kreisbahn schon abgekratzt. »Da sind mir zu wenig Grenzen drauf«, sagt der 26-Jährige schmunzelnd. Schließlich soll der Zug sobald wie möglich wieder so aussehen, wie er 1963 vom VEB Waggonbau in Görlitz ausgeliefert wurde.
Die Rede ist vom VT 18.16, einem legendären Schnellzug der Deutschen Reichsbahn (DR). In der Typenbezeichnung steht VT für Verbrennungstriebwagen, 18 für 180 PS und 16 für Tempo 160, die Höchstgeschwindigkeit. Acht Stück davon sind gebaut worden. Sie fuhren beispielsweise von Berlin und von Leipzig nach Karlovy Vary sowie von Berlin nach Malmö, wobei die Ostsee in der Fähre von Sassnitz nach Trelleborg überquert wurde. Berühmt wurde der VT 18.16 für seinen Einsatz zwischen Berlin, Prag und Wien. Die Bezeichnung dieser Strecke lautet Vindobona, nach dem römischen Heerlager auf dem Gebiet des heutigen Wien. Auf dieser Strecke hinterließ der VT 18.16 Eindruck, deshalb bürgerte sich für den Zug der Name Vindobona ein.
Drei VT 18.16 existieren noch. Je einer ist in Berlin-Lichtenberg und Chemnitz abgestellt. Diese beiden seien aber nicht besonders gut erhalten, der in Lichtenberg sei gar nicht mehr fahrtüchtig, berichtet Schulz. Anders der Zug, der zuletzt jahrelang im Betriebsbahnhof Berlin-Rummelsburg stand. Der wäre fahrbereit. Es fehlt nur der TÜV, für den vermutlich einige kleinere Reparaturen und Wartungsarbeiten erforderlich sind. Der Osthavelländische Kreisbahnen e.V. will das nun erledigen, denn genau diesen Zug erhielt der Verein vor drei Wochen als Dauerleihgabe von der Deutschen Bahn. Der Verkehrskonzern möchte durch die Überlassung die Kosten für Restaurierung und Pflege sparen.
Eine Millionen Euro werde der TÜV kosten, die Wiederherstellung des Originalzustands in den Waggons weitere 500 000 Euro, schätzt Schulz. Um die Summe aufzubringen, bittet der Verein um Spenden und hofft dabei auf die Solidarität der nd-Leser. Auch winzige Beträge seien willkommen, um ein Ruhmesblatt der DDR-Eisenbahngeschichte zu bewahren. »Jeder einzelne Euro würde helfen«, betont Schulz, der von Beruf Lokführer ist. Er hat den Vindobona persönlich von Rummelsburg auf das Vereinsgelände am alten Bahnhof im havelländischen Ketzin geschafft. Dabei musste eine Lok vor den sechsgliedrige Zug von 1963 gespannt werden, um ihn abzuschleppen. Denn aus eigener Kraft darf der VT 18.16 wegen des fehlenden TÜV derzeit nicht bewegt werden.
Zunächst stellten Schulz und seine fünf Mitstreiter einige abmontierte Sitze wieder auf. Derzeit sind sie eifrig dabei, Schmierereien zu entfernen. Einige Graffiti sind erst in Ketzin dazu gekommen. Künftig bewachen die Vereinsmitglieder abwechselnd den Zug, damit er nicht erneut besprüht wird. Sie tun es immer nachts an den Wochenenden, denn dies ist erfahrungsgemäß die Zeit, in der solche Delikte verübt werden.
Am kommenden Sonnabend und am Sonntag, jeweils 10 bis 18 Uhr, zeigt der Verein den historischen Dieselzug erstmals in Ketzin. Der Eintritt zum Eisenbahnfest an der Falkenrehder Chaussee 5 kostet zwei Euro.
Schulz und sein Vereinskollege Christian Grenzel präsentieren stolz Annehmlichkeiten und technische Raffinessen des VT 18.16. Die Lokführer sollen sich früher wie im Cockpit eines Flugzeugs gefühlt haben. Die Platzreihen in den Großraumwagen lassen sich mit einem Handgriff umdrehen. So musste hier niemand mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzen, wenn der Zug umkehrte. Er verfügt über Triebwagen an beiden Enden. Die Beinfreiheit ist erstaunlich groß, nicht zu vergleichen mit den beengten Verhältnissen in einem modernen ICE oder in einem Regionalexpress. Auch sonst bot die Reichsbahn den Fahrgästen viel Komfort. Für die Gäste des Speisewagens wurde das Essen noch frisch in der Küche zubereitet und nicht bloß aufgewärmt, wie heutzutage. Von gediegener Ausstattung zeugt Echtholzfurnier. Den Toiletten allerdings fehlt das inzwischen gängige geschlossene System. Das heißt, alles fällt noch auf die Gleise. Die Benutzung der WCs ist deshalb in Ketzin streng tabu.
Wenngleich der VT 18.16 in der DDR lediglich auf 120 Stundenkilometer beschleunigen konnte – »infrastrukturbedingt«, wie Schulz mit Blick auf den damaligen Zustand der Schienen lakonisch bemerkt –, in Österreich konnte das starke und schnelle Fahrzeug beweisen, dass den Konstrukteuren ein Meisterwerk gelungen war. Die Tschechoslowakische Eisenbahn reichte beim Luxus nicht an den VT 18.16 heran, die Österreichische Staatsbahn nicht bei der Schnelligkeit, erzählt Christian Grenzel. Eigentlich sollten diese drei Verkehrsbetriebe die Strecke Berlin-Prag-Wien immer im Wechsel drei Jahre lang bedienen, erläutert der 41-Jährige. So war es vereinbart. Doch weil mit den österreichischen Zügen der Fahrplan nicht gehalten werden konnte, musste die Alpenrepublik der DDR zeitweilig den Vortritt lassen.
In den 1960er-Jahren habe die Deutsche Reichsbahn so schöne und moderne Züge gebaut wie vorher und nachher nie wieder, schwärmt Lokführer Schulz. Seinerzeit sei die Produktion auf Weltniveau gewesen, was sich am Export in viele Länder ablesen lasse. Der VT 18.16 sei nur ein Beispiel für die Leistung der Konstrukteure. Allerdings verbrauchte der Schnellzug gemessen an der Zahl der Sitzplätze zu viel Diesel und wurde damit in der Ölkrise der 1970er-Jahre unwirtschaftlich. Mitte der 80er-Jahre nahm die Reichsbahn den Vindobona aus dem Fahrplan und verwendete ihn nur noch für Sonderfahrten.
Der Ketziner Zug musste endgültig am 12. April 2003 aufs Abstellgleis. Doch die Osthavelländischen Eisenbahnfreunde möchten ihn unbedingt wieder fit machen. Wenn das gelingt, wird der Zug für die ersten Jahre schnell ausgebucht sein, sind sie überzeugt. Dass sie davon träumen, mit dem Vindobona wieder nach Wien und Malmö zu reisen, wäre nicht die richtige Formulierung. Sie bestehen auf der Aussage, dass dies ihr durchaus realistisches Ziel sei, nicht bloß ein Traum. Ein Jahr Zeit benötigen sie mindestens – und 1,5 Millionen Euro auf ihrem Spendenkonto.
Osthavelländische Kreisbahnen e.V., Falkenrehder Chaussee 5 in 14 669 Ketzin, Mittelbrandenburgische Sparkasse, IBAN: DE14 1605 0000 3813 0054 10, Stichwort: VT 18.16,dampflokgemeinschaft-brandenburg.de
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