Störfaktor Mensch
Im Kino: »Night Moves« von Kelly Reichardt
Eine gute Stunde lang ist »Night Moves« wortkarg, zielgerichtet und blind für alle Gefahren. Eine gute Stunde lang sieht man drei linken Öko-Aktivisten in Kapuzenpullovern dabei zu, wie sie einen terroristischen Anschlag vorbereiten. Einen Anschlag auf einen Staudamm, der nichts als der Elektrizitätsgewinnung dient, einen Anschlag zur Befreiung der Lachse, deren Migration er verhindert. Einen Anschlag, der die Menschheit endlich zur Besinnung bringen soll - und zu der allfälligen Erkenntnis, dass Biodiversität wichtiger ist als die jederzeitige, ununterbrochene digitale Vernetzung. Elektrizität sei zu teuer erkauft, wenn sie das ökologische Gleichgewicht nachhaltig aus der Balance bringe.
Der schweigsame Josh (Jesse Eisenberg) arbeitet in einer Bio-Kooperative im ländlichen Oregon. Dena (Dakota Fanning) betreibt in der selben Gegend einen esoterischen (und wohl vom abwesenden Vater finanzierten) Wohlfühlort mit tantrischer Massage und türkischen Bädern. Harmon (Peter Sarsgaard), etwas älter und mit deutlich bewegterer Vorgeschichte, lebt irgendwo in den staudammnahen Wäldern halb verborgen in einem abgelegenen Trailer. Während Josh und Dena das Motorboot besorgen, mit dem sie den Anschlag ausführen wollen, ist er für den brisanteren Teil der Vorbereitungen verantwortlich: für die Beschaffung von Dünger und Diesel zur Sprengstoffherstellung.
Nicht alles geht glatt bei der Vorbereitung. Andere Menschen stören, wie schon durch den Dammbau, nun auch bei der Zerstörung des Damms. Der angehäufte Dünger reicht nicht aus, also muss der Plan entweder aufgeschoben oder unter ungleich größerem Risiko doch irgendwie durchgezogen werden, allen Beschaffungsschwierigkeiten zum Trotz. Urlauber, Waldwanderer und wilde Camper gefährden den reibungslosen Ablauf - vielleicht hätte man bis zum Winter warten sollen, wenn am Staudamm weniger los ist? Aber sie sind ungeduldig, die drei Aktivisten, sie wollen nicht warten, also gehen sie weiteres Risiko ein. Zu viel, wie sich hinterher herausstellt, als sie am Tag nach dem Anschlag wieder »ganz normal« an ihrer jeweiligen Arbeitsstelle auftauchen.
Nach einer guten Stunde Film beginnen die Folgen der Tat sich im Leben von Josh und Dena Bahn zu brechen. Harmon, weit weg, verliert sich aus dem Bild, er wird zur mahnenden Stimme am Telefon, bevor er schließlich ganz verschwindet. Während Josh in jedem Fahrzeug einen Verfolger wittert und sich von seinen friedlichen Kollegen unverstanden fühlt, kann Dena mit dem Wissen um die Tat bald überhaupt nicht mehr umgehen, was die Paranoia der Männer noch steigert. Das eigene Leben wollen sie jetzt retten, nur ja nicht ins Gefängnis kommen, um für die vorab unzureichend durchkalkulierten Folgen ihres Anschlags etwa einstehen zu müssen. Die Frage, ob Dena reden wird, erscheint plötzlich ungleich wichtiger als die nach der ungestörten Migration der Lachse.
Wie Filmemacherin Kelly Reichardt (»Wendy & Lucy«, »Meek’s Cutoff«), lange die große Hoffnungsträgerin der unabhängigen Filmszene in den USA, und ihr Ko-Drehbuchautor Jon Raymond diesen individuellen Ernüchterungsprozess handhaben, der die drei Attentäter trennt, anstatt sie zu verbinden, lässt ihrem Film in seiner zweiten Stunde alle Luft zum Atmen ausgehen. Da wird eine krank, einer gewalttätig, nur der dritte im Bunde bleibt ziemlich genau der, der er von Anfang an war, ein gewaltbereiter Aussteiger mit guten Selbstbewahrungsinstinkten. Jede Logik aber fliegt zum Fenster raus, alles Handeln wird bauchbestimmt, führt immer weiter weg vom Ziel, endet in lebensfeindlichen Sackgassen.
Weniger wäre mehr gewesen in diesem Fall: die spannungsdichte erste Stunde, ergänzt um zehn, fünfzehn Minuten Ausblick auf den Schaden, den auch die Terroristen nehmen, hätten einen starken Film abgegeben. Mit zwei Stunden Länge und mindestens einer Verzweiflungstat zu viel ist er dagegen wenig mehr als eine verschenkte Gelegenheit.
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