Werbung

Endlich wieder Völkermord!

Malte Daniljuk über die Instrumentalisierung der Menschenrechte für militärische Einsätze

  • Malte Daniljuk
  • Lesedauer: 3 Min.

Die ehemalige Außenministerin der USA, Hillary Clinton, hat Sinn für Humor. Schuld an der aktuellen Misere in Nordirak - der Vertreibung von Jesiden und Kurden durch die Organisation »Islamischer Staat« - trage ihr ehemaliger Chef Barack Obama. Weil er nicht genug Waffen in die Region geschickt habe, setzte sie hinzu. Eine unbestreitbar richtige Aussage mit einer komplett grotesken Erklärung zu verbinden, das dürfte nicht nur auf den Fluren von Pentagon und Außenministerium für Gelächter gesorgt haben. Leider ist dieses Lachen ein zynisches, denn die Tragödie ist real, und sie betrifft nicht nur die fraglichen Minderheiten.

Wir erleben seit Jahren, wie die USA und ihre Verbündeten unter dreister Instrumentalisierung der Menschenrechte ganze Regionen ins Verderben stürzen. Niemand kennt dieses Spiel besser als die kurdische Bevölkerung in Irak. Nachdem die USA in den 1970er Jahren die kurdische Nationalbewegung finanzierten, um einen auf den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) orientierten Irak zu schwächen, lieferten sie Saddam Hussein in den 1980er Jahren die Chemikalien für das Giftgas, mit dem er die Kurden im März 1988 angriff.

Danach unterstützte die US-Außenpolitik erneut Kurden und Schiiten, aber nur soweit, dass weder in Irak noch in Kurdistan ein langfristig stabiler Staat entstehen konnte. Stattdessen bewaffneten sie ihre Feinde von gestern, ehemalige Angehörige von Saddam Husseins Sicherheitsdiensten und sunnitische Extremisten aus aller Herren Länder. Das Ergebnis ist eine komplett zerstörte Region.

Eine extreme Ausnahme? Nein, ein Prinzip. Eine ebenfalls humoristische Aussage ist von dem ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten überliefert. »Ich wünsche beiden Seiten viel Erfolg«, soll Menachem Begin einmal zum Thema Iran-Irak-Krieg gesagt haben. Dieser Satz gilt für das Verhältnis des Westens gegenüber Kurden, Schiiten und Sunniten genauso wie für die Konfliktparteien in Syrien, in Libyen oder für den Sudan und den Südsudan.

Auch dort musste erst kürzlich ganz dringend ein »Völkermord« verhindert werden. Erinnert sich noch jemand daran? Die USA rüsteten die SPLA-Milizen gegen die Regierung in Khartum auf und ermutigten ihre Verbündeten, den Süden des Landes abzuspalten, wo drei Viertel der Öl- und Gasvorkommen der Region liegen. Inzwischen bekriegen sich die verschiedenen Truppenteile der SPLA gegenseitig. Die UNO spricht von der gegenwärtig größten humanitären Katastrophe. Soweit zur Responsibility to Protect.

Der Konflikt in Sudan bietet auch deswegen ein treffendes Beispiel, weil Weiße dort schon 1896 die Menschenrechte verteidigten. Die Briten schlugen den ersten antikolonialen Aufstand Afrikas nieder, nachdem sich die multiethnische Mahdi-Bewegung erhoben hatte, und marschierten in Sudan ein. Nicht etwa um das Land auszurauben und sich die berühmte »britische« Baumwolle anzueignen. Nein. Sondern weil fiese Muslime dort arme Schwarze versklavten. So jedenfalls begründeten sie die Invasion schon damals vor der europäischen Öffentlichkeit.

Erst kürzlich ließ Frank Walter Steinmeier die Körber-Stiftung eine Befragung durchführen, unter welchen Umständen die renitente Bevölkerung einen Kriegseinsatz am ehesten akzeptieren würde. Ergebnis der Review 2014: Zwei Drittel der Deutschen finden es sehr wichtig, die »Menschenrechte weltweit« zu schützen. Aber nur ein gutes Drittel meint, Deutschland solle sich bei internationalen Krisen »stärker engagieren«. Diese Minderheit hat jedoch einen realistischen Blick auf die Außenpolitik. Um den eigenen Wohlstand und den internationalen Handel zu schützen, sei das nötig, argumentieren praktisch alle von ihnen.

Es braucht keine Propheten, um zu wissen, was nun bevorsteht. Um dafür zumindest kurzfristig eine gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen, werden die Kriegsbegeisterten rhetorisch alle Menschenrechte auf dieser Welt verteidigen. Wie das geht, führt die Parteiführung der Grünen in diesen Tagen wieder eindrucksvoll vor. Endlich mal wieder Völkermord.

Alle, die etwas anderes wollen, müssen endlich eine Debatte darüber führen, wie sich Friedensbewegte gegen die westliche Instrumentalisierung von Menschenrechtsverbrechen, von Terroristen und Diktatoren immunisieren.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -