Massenmorde und das syrische Öl

IS-Terroristen brachten offenbar Hunderte Menschen im Osten des Landes um

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Miliz der Dschihadisten zieht ihre blutige Spur auch durch Syrien. Schon wird der Ruf nach US-Luftangriffen laut.

Kämpfer der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) sollen im Osten Syriens Hunderte Menschen getötet haben. Das berichtete am Wochenende die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf die in London ansässige »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte«. Der Leiter der Beobachtungsstelle, Rami Abdul-Rahman, verfügt eigenen Angaben zufolge über ein weites Netzwerk von Informanten im Land und bestimmt mit deren Mitteilungen vielfach das Bild in den westlichen Medien über das Geschehen in Syrien. Das Büro wird teilweise von der Europäischen Union finanziell unterstützt.

Nun berichtete die Beobachtungsstelle von einem Massaker, bei dem mehr als 700 Angehörige des Al-Schuaytat-Stammes in der Provinz Deir Ezzor ermordet worden sein sollen, weil sie sich den IS-Kämpfern nicht untergeordnet hätten. Die Hinrichtungen dauerten schon seit zwei Wochen an, mehr als 1800 weitere Männer des Stammes seien vermutlich verschleppt worden. Nach Angaben der Beobachtungsstelle seien unter den Toten nur 100 Kämpfer des Al-Schuaytat-Stammes, alle anderen Toten seien Zivilisten. Bereits Anfang August hatte es Berichte über Kämpfe zwischen IS und Bewohnern der Dörfer Ghranij, Abu Hamam und Kashkiyeh gegeben. Die Orte liegen am Euphrat und zählen zum Siedlungsgebiet der Al-Schuaytat.

Im Internet werden die Meldungen über die Massenhinrichtungen durch Bilder und Videoaufnahmen untermauert, deren Herkunft allerdings unklar ist. In den Videos sind Männer zu sehen, die offensichtlich in großer Angst sind und von Uniformierten zusammengetrieben und abgeführt werden. Auf einer Szene ist ein Kämpfer zu sehen, der einem Opfer die Kehle durchschneidet. Andere lachen und ahmen Ziegen nach, während der Mann abgeschlachtet wird. In der arabisch-muslimischen Kultur werden Ziegen als Opfergabe geschlachtet, um etwas zu feiern oder eine Vereinbarung zu bekräftigen. Andere Bilder im Internet zeigen Köpfe, die auf einen Zaun gespießt sind oder an Haken aufgehängt an einem Seil gezogen werden.

Hintergrund der Kämpfe zwischen IS und den Al-Schuaytat ist nach Angaben der Beobachtungsstelle, dass der Führer des Stammes zuvor die IS-Kämpfer aufgefordert hatte, die Gruppe zu verlassen, Buße zu tun und sich wieder der »Religion der Gnade« zuzuwenden. Nahostexperte Michael Lüders vermutet einen Streit zwischen IS und dem Stamm um Öl, das in diesem Gebiet Syriens zu finden ist.

Um sich Gefolgschaft unter den ostsyrischen Stämmen zu sichern, hat IS den Stämmen erlaubt, eine bestimmte Menge von dem Öl zu behalten, das dort gestohlen wird. Der Handel mit dem gestohlenen syrischen Öl wurde zunächst von der Nusra-Front organisiert, berichtete Anfang Juli die libanesische Tageszeitung »As Safir«. Inzwischen wird der illegale Ölhandel von dem militärischen Anführer der IS in Syrien, Omar al-Shishani, kontrolliert. Seine Aufgabe ist es, strategische Ressourcen für den Aufbau des »Kalifats« zu sichern. 50 000 Barrel Öl bringen durch Mittelsmänner in der Türkei ein Million US-Dollar. Nach offiziellen Angaben des syrischen Ölministeriums wurden vor 2011 auf den von IS besetzten Ölanlagen pro Tag 380 000 Barrel Öl gefördert.

Verschiedenen Berichten zufolge will IS nun offenbar wieder die Kontrolle über den nördlichen Teil der Provinz Aleppo zurückerobern. Ziel des Vorstoßes, für den IS die in Mossul erbeuteten US-amerikanischen Waffen nutzt, ist offenbar die Stadt Azaz, die derzeit von der »Islamischen Front« kontrolliert wird. Azaz ist als Nachschubweg in die Türkei von hoher Bedeutung für die Kampfgruppen in Syrien. Anfang des Jahres war IS von der Nusra-Front und der »Islamischen Front« vertrieben worden. Während die Nusra-Front der Al Qaida zugerechnet wird, stuft der Westen die »Islamische Front« als »moderat« ein. US-Senator John McCain setzt sich seit Langem für eine Bewaffnung der »Islamischen Front« ein, der auch die Kurdische Islamische Front aus Nordirak angehört. Gegner der Bewaffnung verweisen darauf, dass die Waffen schnell in die falschen Hände geraten könnten.

Die in der Türkei ansässige oppositionelle Syrische Nationalkoalition forderte am Wochenende die USA auf, Luftangriffe auf Stellungen des IS nicht nur in Irak, sondern auch in Syrien durchzuführen.

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