Residenzpflicht - in Europa einmaliges Ärgernis
Trotz Liberalisierung in den letzten Jahren bleibt die Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen umstritten
Über die fränkische Regionalpresse hinaus sorgte der folgende Fall für Aufregung: Ein Spieler aus dem Football-Team der Würzburg Panthers durfte nicht zum Play-off-Spiel nach Bamberg mitfahren. Obwohl nur ein Katzensprung von 100 Kilometern, verlangten die Gesetze von Madiama Diop, dass er zu Hause blieb und vom knappen Sieg seiner Mannschaft nur aus zweiter Hand erfuhr. Grund: Der Senegalese ist Asylbewerber und unterliegt den rigiden Regeln der bayerischen Residenzpflicht. Das heißt, er darf den Regierungsbezirk nicht verlassen, in dem er untergebracht ist. Eine Sondergenehmigung wurde verweigert. Eine Verweigerung sei keine unbillige Härte, schließlich sei Sinn der Ausnahme nur eine gewünschte Form der Freizeitgestaltung.
Ein Verstoß gegen die Residenzpflicht kann mit Bußgeld bestraft werden, im Wiederholungsfall gar mit Strafverfahren und Haft. Die Residenzpflicht, die für die Dauer des Asylverfahrens gilt, ist seit Jahren heftig umstritten und immer wieder Anlass für politische Auseinandersetzungen auf parlamentarischer Ebene, aber auch für Protestaktionen geworden. Zuletzt sorgte die monatelange Demonstration von Flüchtlingen in einem provisorischen Zeltlager auf dem Oranienplatz im Berliner Bezirk Kreuzberg für politische Verwerfungen bis in den Senat. Eine der Forderungen der Flüchtlinge lautete: Abschaffung der Residenzpflicht.
Ihre respektlos formulierten Ziele, die eine erste Gruppe von Flüchtlingen unter Verletzung der eigenen Residenzpflicht mit einem Marsch in Angriff nahm, der im September 2012 wohl nicht zufällig im bayerischen Würzburg seinen Ausgangspunkt hatte, konnten die Protestierenden trotz Hungerstreiks nicht durchsetzen. Was Wunder, denn immerhin forderten sie nicht weniger als eine Änderung der Asylpolitik in Deutschland. Einige von ihnen erhielten zumindest eine zweite Chance durch erneute Prüfung ihres Falls, sofern sie ihren Protest einstellten. Andere verweigern bis heute jedes Entgegenkommen, weil sie dieses als Scheitern betrachten.
Wohl gerade dank der anhaltenden Kritik am Prinzip der Verbannung von Flüchtlingen an einen zudem oft abgelegenen Unterbringungsort ist die Residenzpflicht in den letzten Jahren in den meisten Bundesländern deutlich liberalisiert worden - den Initiativen von Landesregierungen links der Unionsparteien im Bundesrat folgend. So stellt Bayern mit seiner Regelung eine besonders ungastliche Insel der Intoleranz dar, hier haben sich Flüchtlinge im zugewiesenen Regierungsbezirk oder einem angrenzenden Landkreis aufzuhalten. In Sachsen wurde der Aufenthaltsradius von einem zugewiesenen Landkreis auf einen größeren Direktionsbezirk erweitert.
Alle anderen Bundesländer gestehen den Asylbewerbern Bewegungsfreiheit wenigstens innerhalb der eigenen Landesgrenzen zu. Die Stadtstaaten Bremen und Berlin haben in Verträgen mit Niedersachsen und Brandenburg geregelt, dass Flüchtlinge sich auch in dem jeweils umgrenzenden Bundesland aufhalten dürfen. Und Hamburg gestattet seinen Asylbewerbern gar den Aufenthalt im gesamten Bundesgebiet. Die meisten Länder knüpfen die im Vergleich zur Liberalisierung, die im Jahr 2010 einsetzte, hinzugewonnene relative Bewegungsfreiheit an Auflagen wie sogenannte Mitwirkungspflichten im Asylverfahren, also die Bereitschaft, auch Gründe zur Ablehnung des eigenen Asylantrags offenzulegen. Eine Erhebung, zu welchen Verschärfungen der Residenzpflicht fehlender Wille zu solcher Mitwirkungspflicht führt, ist nicht vorhanden.
Die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl weist darauf hin, dass die sogenannten Verlassenserlaubnisse von den Behörden nach Gutdünken verweigert werden können. Für diese Sondergenehmigungen müssten die Betroffenen in sechs Bundesländern sogar noch Gebühren zahlen. Dass Flüchtlingen wie in Deutschland durch die Residenzpflicht ihr Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit genommen wird, sei in Europa einmalig.
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