Shell legt Fracking-Pläne in der Ukraine auf Eis
Krieg im Donbass-Gebiet lässt die geplante Erdgasausbeutung zum unkalkulierbaren Risiko werden
Der britisch-niederländische Ölkonzern Shell hat erste Probebohrungen mit dem umstrittenen Fracking-Verfahren auf den Jusovsk-Gasfeldern im Osten der Ukraine auf unbestimmte Zeit verschoben. Als Grund gab das Unternehmen an, aufgrund höherer Gewalt seine Vereinbarungen mit der ukrainischen Partnerfirma »Nadra Jusovsk« nicht mehr einhalten zu können. Dies berichtete die ukrainische Tageszeitung »vesti.ua« unter Berufung auf »Interfax-Ukraine« vergangenen Donnerstag. Die bereits am 15. Juli getroffene Entscheidung bedeutet das Ende für einen Vertrag, der von ukrainischen Politikern noch vor kurzem als »Jahrhundertvertrag« gelobt wurde. Damals war die Rede von zig Milliarden Dollar, die sich bei einer Ausbeutung der Gasvorräte im Gebiet zwischen Lugansk, Charkow und Donezk hätten machen lassen. Fast die gesamte Gegend ist umkämpft.
Noch vor gut einem Jahr herrschte Goldgräberstimmung in Donezk, Slawjansk, Charkow und Kiew: Am 24. Januar 2013 hatten Vertreter der Kiewer Regierung, des Shell-Konzerns und der ukrainischen Firma »Nadra Jusovsk« in Davos einen auf 50 Jahre befristeten Vertrag zur Ausbeutung der Gasvorkommen auf den »Jusovsk-Gasfeldern« im Beisein des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch unterschrieben. Die Gewinne durch die Ausbeutung des 7886 Quadratkilometer großen Areals, in dessen Zentrum sich die umkämpfte Stadt Slawjansk befindet, sollten zu je 50 Prozent an Shell und »Nadra Jusovsk« gehen. Gewonnen werden sollte das Gas mit der umstrittenen Fracking-Methode, bei der unter hohem Druck Chemikalien und Wasser in tiefere Gesteinsschichten gepresst werden, um das darin eingeschlossene Gas fördern zu können.
Mit dem Vertrag, hieß es bei Unterzeichnung, ließen sich mehrere Probleme des Landes lösen. So sollte die Abhängigkeit von russischem Gas gedrosselt, die Arbeitslosigkeit gesenkt, die Deviseneinnahmen erhöht sowie Projekte im sozialen Bereich endlich angegangen werden.
Bereits vor Unterzeichnung hatten die Abgeordneten des Bezirksrates von Donezk die geplante Vereinbarung begrüßt. Der eigens aus Kiew nach Donezk angereiste Minister für Ökologie und Ressourcen, Oleg Proskurjakow, sprach euphorisch vom »größten Investitionsprojekt in der Geschichte der Ukraine«. In fünf bis sechs Jahren, so der Minister, könne man jährlich mehrere Milliarden Kubikmeter Gas fördern. Shell plane in der Region Investitionen von mindestens zehn Milliarden Dollar. Er schließe aber auch Investitionen des Konzerns in der Region von 50 Milliarden Dollar nicht aus, so Proskurjakow. Im Dezember vergangenen Jahres hatte Shell mit den ersten Probebohrungen bei Blisnjuk, 190 km von Donezk entfernt, begonnen.
Wie hoch die Gasvorkommen in der Ukraine tatsächlich sind, wird unterschiedlich eingeschätzt. 30 Billionen Kubikmeter Gas, sagte der ukrainische Minister für Energie- und Kohlewirtschaft, Jurij Prodan, im April, werden von der Ukraine selbst vermutet. Andere Quellen, wie das US-Energieministerium, sprechen von 1,2 Billionen Kubikmeter.
Und ein Großteil dieser Vorkommen befindet sich ausgerechnet dort, wo derzeit geschossen wird, in den Gebieten Lugansk und Donezk. Nach Angaben des geologischen Dienstes der Ukraine befinden sich allein auf den Jusofsk-Feldern im Donbass zwei Milliarden Kubikmeter Gas. Trotz der kriegerischen Auseinandersetzungen hatte man lange gehofft, das Fracking-Projekt doch noch umsetzen zu können. Noch Ende März 2014 hatte der von Kiew eingesetzte Gouverneur des Gebietes Donezk, Sergej Taruta, den Shell-Konzern gebeten, die Ausbeutung des Schiefergases in der Ostukraine zu beschleunigen.
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