Leben nach dem Tod

Die Arte-Doku »Die virtuelle Feder« schaut in die Zukunft des Journalismus

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Jahren schon liegt die Zeitung auf dem Sterbebett. In der Arte-Dokumentation »Die virtuelle Feder« lernen wir, warum. Wir erfahren aber auch, dass redaktioneller Journalismus dennoch eine Zukunft hat - nur eben seltener auf Papier.

Symptomatischer für den Abstieg könnte eine Bild kaum sein: In Indien, Ursprung jeder fünften Zeitung auf Erden, hat ein Rindvieh seine Artgenossin im Mund. Gelangweilt kaut da also eine heilige Kuh aus Fleisch und Blut auf einer anderen aus Papier und Druckerschwärze herum. Das mächtigste Informationsmedium vieler Jahrhunderte, wichtiger als Mundpropaganda, Sendboten, Radio, Fernsehen, Internet, ein Nachrichtenmonument, hochverehrtes, selbstverliebtes Kulturgut - verspeist. Einfach so. Von einer Kuh. Ein Desaster.

Und eine Chance. - Denn im Untergang der Publizistik, wie wir sie kennen, liegt eine große Zukunft begründet. Das behaupten zumindest die zwei Filmemacher Philippe Kiefer und Pierre-Olivier François. Um es zu belegen, sind sie um die halbe Welt gereist, stets auf der Suche nach Vergangenheit, Gegenwart und Perspektiven des analogen Journalismus im digitalen Sperrfeuer von Computer, Smartphone, Tablet. »Die virtuelle Feder« heißt das Resultat ihrer globalen Recherche auf der Suche nach dem »Journalismus von morgen«. Dabei stoßen die Medienexperten auf Platzhirsche und Bilderstürmer, auf Untergangsszenarien und Durchhalteparolen. Vor allem aber stoßen sie auf eins: Liebe zur Information.

Wo immer die Kamera nämlich landet - ob bei »Bild« in Berlin oder am Times Square in London, im Start-up mit Basecap-Trägern oder im Pressehaus voller Pulitzerpreise: Überall herrscht diese obskure Mischung aus Fatalismus und Aufbruchsstimmung. In den USA wird die Zeitung laut einer Studie schon 2017 ausgestorben sein. Zwölf Jahre darauf wäre Frankreich fällig. Und Deutschland? 2030. Klingt nach einem Weltuntergang im Kleinen, spürbar auch für die Großen. Und was tut Mathias Döpfner, Vorstandschef der Axel Springer AG, einer der mächtigsten Medienmacher im Land? Entspannt sitzt er in seinem Büro hoch über Kreuzberg und sagt: »Unsere Aufgabe ist es, die Idee der Zeitung vom Informationsträger Papier zu lösen.« Punkt.

Die Königin ist tot, es lebe die Königin. In ihrer gedruckten Form, darüber sind sich selbst Haptik-Fans wie Michael Shapiro einig, ist Zeitung bald Geschichte. Trotzdem, fügt der Direktor vom Journalistikinstitut der Columbia-Universität in New York hinzu, leben wir »in einem goldenen Zeitalter«. Schließlich sei das Bedürfnis nach handfesten News, geliefert von Kennern vor Ort, editiert von Profis, sortiert nach Bedeutung statt Knalleffekten ein Grundbedürfnis. Nur: Wo genau das dann zu lesen ist, auf geheckselten Bäumen oder blinkenden Bildschirmen - das ist gleichgültig, ressourcenabhängig zudem und allerlei Moden unterworfen.

So ist die Botschaft dieser Dokumentation im anhaltenden Wehklagen Medienbranche eine hoffnungsfrohe: Solange Journalismus von Menschen gemacht wird statt von Algorithmen, wie es Google probiert, solange er die Informationsflut professionell vorsiebt und damit auch noch Geld verdient, solange er sich und andere ernst nimmt, wird es Zeitungen geben. Auch wenn die heilige Kuh in Indien darauf irgendwann besser nicht mehr herumkaut.

Arte, 21.30 Uhr

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