Die Macht der Wettbewerbshüter

Fusionskontrolle hat an Bedeutung verloren, aber gegen Kartelle wird härter durchgegriffen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
In letzter Zeit häufen sich wieder die Fusionen. Die Wettbewerbskontrolle sei ein zahnloser Tiger, behaupten Kritiker. Dabei hat das Bundeskartellamt durchaus Zähne, ist jedoch kein Tiger.

Der Paukenschlag erfolgte vor gut einem Jahrzehnt. Nachdem der Europäische Gerichtshof mehrere Fusionsverbote der EU-Wettbewerbskommission kassiert hatte, wurde eine Reform auf den Weg gebracht, um die Rechtssicherheit für die Wirtschaft zu erhöhen. Die Modernisierung führte im Mai 2004 zu einer neuen Fusionskontrollverordnung. Kritiker wie der Ökonom Jörg Huffschmid sahen darin eine »weitere Verweichlichung«. Mit der Reform sei nämlich ein Abschied von dem harten, überprüfbaren Kriterium der unerlaubten Marktbeherrschung eines Unternehmens verbunden.

Die europäische wie auch deutsche Fusionskontrolle hatte bis dahin vor allem dies geprüft. Damit konnten zumindest in der Theorie Zusammenschlüsse verhindert werden, weil Konzerne zu groß wurden. So hätte beispielsweise die Fusion von Commerzbank und Dresdner Bank, die 2009 vollzogen wurde, nach altem Recht wohl untersagt werden können. Doch die Megabank entstand und galt schon bald als »zu groß, um zu scheitern« - in der Finanzkrise wurde sie durch Teilverstaatlichung gerettet.

Andere Kritiker sprachen von einer »Amerikanisierung«, weil die Reform offensichtlich dem Vorbild des englischsprachigen Raums folgte. Dieses beschränkt sich auf die Verhinderung einer »wesentlichen« Verminderung des Wettbewerbs. Weiter aufgeweicht wurde das Kartellrecht noch durch die Zuspitzung auf den Konsumenten. Im einst von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU) vorangetriebenen Wettbewerbsrecht von 1958 ging es dagegen stark um wirtschaftliche Macht und deren »Entmachtung«. In Zeiten der Globalisierung räumte die Politik dagegen den Weg frei für die Schaffung »europäischer Champions«.

Und so wurden etwa im vergangenen Jahr rund 1100 Zusammenschlüsse beim Bundeskartellamt angemeldet - nur zwei wurden verboten. Die in Bonn ansässige Behörde ist für Fusionen oder Übernahmen in Deutschland zuständig. Wenn diese aber eine »gemeinschaftsweite Bedeutung« haben, werden sie nach der Europäischen Fusionskontrollverordnung geprüft. Die Entscheidung liegt dann bei der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission; das Bundeskartellamt arbeitet mit ihr eng zusammen. Im Juli genehmigten die EU-Behörden einen spektakulären Mega-Deal: Für 8,55 Milliarden Euro darf Telefónica Deutschland (O2) seinen Konkurrenten E-Plus schlucken. Damit entsteht eine neue Nummer eins am Mobilfunkmarkt mit 43 Millionen Kunden in der Bundesrepublik. Die bisherigen Spitzenreiter Telekom und Vodafone sind ähnlich groß. Verbraucherschützer befürchten nun steigende Preise, Ökonomen eine zu große Marktmacht bei Infrastrukturentscheidungen des Bundes.

Eine aktuelle Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung belegt, dass EU-Kommission und nationale Kartellämter selbst den aufgeweichten Gesetzesrahmen nicht voll ausschöpfen und »zu vorsichtig« seien. »Dies ist bedauernswert, da Verbote starke Auswirkungen auch auf zukünftige Fusionen haben«, wie es in der Studie weiter heißt. Der Abschreckungseffekt komme zu kurz. Immerhin wurden in den letzten Jahren einige problematische Projekte wie der Zusammenschluss der US-Börse NYSE mit der Deutschen Börse untersagt.

Da echte Monopole praktisch nicht mehr existieren, zielt die heutige linke Kritik meist auf sogenannte Oligopole - wenn also einige wenige Anbieter einen Markt beherrschen. »Die wichtigen Märkte, nicht nur in Deutschland, haben längst die Marktform eines engen Oligopols erreicht«, kritisierte der Ökonom Heinz-J. Bontrup im »nd« (Ausgabe 24. 5.). Hier existierten »kein wirklicher Wettbewerb mehr, sondern purer Machtmissbrauch zur eigenen Bereicherung«. Dem Kartellamt sind auf Anfrage solche Vorwürfe »zu pauschal, zu unkonkret«. Es verweist auf die wohlgefälligere Bewertung im jüngsten Hauptgutachten der Monopolkommission, die eine »tendenziell abnehmende Konzentration« in der deutschen Wirtschaft ausmacht.

Zudem ist eine geringe Zahl von Akteuren nicht unbedingt mit einem Ende des Wettbewerbs gleichzusetzen: Während auf dem Benzinmarkt praktisch null Konkurrenz zwischen Shell, BP und Esso herrscht, ist der Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel oder bei Drogerien trotz Oligopols knallhart. Aus Sicht einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik ist auch zu viel Wettbewerb nicht gut - die »Geiz-ist-geil«-Mentalität von Einzelhandel und Verbrauchern gefährdet die Qualität unserer Lebensmittel sowie die Gesundheit der Näherinnen in Bangladesch.

Dabei zeigt die Flut an aufgedeckten Kartellen in jüngster Zeit, wie das Kapital weiterhin versucht, den aus betriebswirtschaftlicher Sicht teuren Wettbewerb zu unterlaufen. Doch die Tatsache, dass gerade in jüngster Zeit sehr viele und große Kartelle (etwa in den Bereichen Zement, Bahn und Wurst) aufgedeckt sowie mit Bußgeldern bestraft wurden, belegt, dass das Wettbewerbsrecht nicht zahnlos sein muss.

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