Hoffen auf den dritten Prozess

Bundesgerichtshof verhandelt zum zweiten Mal über den Feuertod Oury Jallohs in Dessau

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe verhandelt heute erneut über ein Urteil zum Feuertod von Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau. Schon 2010 hatte er den Weg für einen neuen Prozess geebnet.

Einmal 59 Prozesstage, einmal sogar 66 Sitzungen eines Gerichtes: Die juristische Aufarbeitung des Todes von Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte, hat schon enorm viel Zeit in Anspruch genommen. Heute wird am Bundesgerichtshof Karlsruhe darüber verhandelt, ob sie in eine neue, dritte Runde gehen muss. Der BGH prüft die Revisionsanträge von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklage zu dem Urteil, das im Dezember 2013 das Landgericht in Magdeburg fällte. Dabei war der damals 52-jährige Polizeibeamte Andreas S. der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden und zu knapp 11 000 Euro Geldstrafe verurteilt worden.

Das Magdeburger Urteil kam zustande, weil der BGH im Januar 2010 den Fall schon einmal vorliegen hatte – und einen Ende 2008 ergangenen Richterspruch des Landgerichts Dessau kippte. Dieses hatte Andreas S. und einen damals mitangeklagten Kollegen freigesprochen. Auch jetzt hoffen alle Beteiligten auf eine Neuauflage des Prozesses – wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen.

Die Verteidigung möchte für den Polizisten einen erneuten Freispruch erreichen. Er hatte als Dienstgruppenleiter den am Morgen des 7. Januar 2005 in Polizeigewahrsam genommenen, stark angetrunkenen und aufgeregten Asylbewerber aus Sierra Leone stundenlang in einer Zelle einschließen und auf seiner Matratze sogar an Händen und Füßen fesseln lassen. Dennoch habe der Beamte nicht gegen die Gewahrsamsordnung verstoßen, meint dessen Verteidiger.

Dagegen will die Dessauer Staatsanwaltschaft vom BGH geprüft wissen, ob S. auch wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge hätte verurteilt werden können. Das hätte für den Polizeibeamten schwerwiegende Folgen: Ihm drohte eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr, das Ausscheiden aus dem Polizeidienst und der Verlust seiner Pensionsansprüche.

Schon im Magdeburger Verfahren war die Frage aufgeworfen worden, warum Jalloh so lange in der Zelle belassen wurde, obwohl er keine Straftat begangen hatte. Im Gewahrsam war er gelandet, weil sich einige ABM-Frauen in einem Park von ihm behelligt gefühlt hatten. »Es gab keinen Grund für eine Festnahme, es gab keinen Grund, ihn einzusperren, und es gab schon gar keinen Grund, ihn zu fesseln«, sagt Gabriele Heinecke, die Anwältin der Nebenklage. Nur diese Kette von Ereignissen konnte freilich dazu führen, dass sich Jalloh mittags in der Zelle befand, als dort ein Feuer ausbrach, an dessen Folgen er starb.

Wie es zu dem Feuer hatte kommen können, ist auch nach zwei Prozessen, zwei Brandgutachten und vielen Expertenaussagen strittig. Die Anklage und beide Gerichte gingen davon aus, dass Jalloh seine Matratze selbst in Brand setzte, um Aufmerksamkeit zu erregen; er soll dann nach dem Einatmen heißer Gase an einem Hitzeschock gestorben sein. In größter Ausführlichkeit erörtert wurde lediglich die Frage, ob Dienstgruppenleiter S. ihn bei schnellerem Handeln hätte retten können. Die Nebenklage näherte sich in Magdeburg indes einer These an, die von der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« seit Jahren vertreten wird. Dort ist man überzeugt, dass das Feuer von Dritten gelegt wurde. Dafür gebe es »massive Beweise«, sagte Heinecke in ihrem Plädoyer: »Man braucht keine Verschwörungstheorien, um festzustellen, dass etwas nicht stimmt.« Ihr Versuch, ein neues Brandgutachten erstellen zu lassen, scheiterte aber.

Die Gedenkinitiative hat indes, gestützt auf eine selbst in Auftrag gegebene unabhängige Expertise, eine Anzeige wegen Mordes bei der Bundesanwaltschaft gestellt, die nach Dessau weitergeleitet wurde. Dort ist ein diesbezügliches Verfahren weiter anhängig; der Fortgang wird auch davon abhängen, wie die Verhandlung heute in Karlsruhe verläuft.

An der könnte kurzfristig auch der Bruder Jallohs teilnehmen. Zunächst war Mamadou Saliou Diallo von der deutschen Botschaft in Guinea ein Visum verweigert worden. Die Diplomaten hatten die Entscheidung aber dann korrigiert. Nun hofft man bei der Initiative, dass es noch Flugtickets gibt. Das Urteil von Magdeburg hatte Diallo schon verpasst – weil es sehr kurzfristig anberaumt worden war.

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