Putins neue Schlagworte
Russlands Präsident für eigene »Staatlichkeit« der Ostukraine
Was steckt hinter Wladimir Putins jüngsten Äußerungen? Der Politikwissenschaftler Fjodor Lukjanow, Vorsitzender des Rates für Außen- und Sicherheitspolitik und Chefredakteur der einflussreichen außenpolitischen Zeitschrift »Russland in der globalen Politik«, sagte bei Radio Echo Moskwy, der Kremlchef wolle mit seiner Forderung nach Eigenstaatlichkeit der Ostukraine Druck auf die Führung in Kiew ausüben - und sich zugleich die Möglichkeit für politische Manöver offen lassen. Es gehe um Gespräche »über die politische Organisation der Gesellschaft und den staatlichen Status für die Südostukraine«, zitierte ITAR-TASS den Präsidenten.
Im gleichen Atemzug erinnerte Putin daran, dass er sich in der Vorwoche in Minsk mit seinem ukrainischen Amtskollegen Pjotr Poroschenko darauf verständigt habe, dass der Konflikt ausschließlich mit friedlichen Mitteln beigelegt werden muss. Kreml-Sprecher Peskow bestritt denn auch, dass Moskau eine Spaltung der Ukraine anstrebe. Die Rebellen sollten keinen eigenen Staat erhalten, allerdings müsse Kiew »die Interessen Neu-Russlands anerkennen«. Der Präsident hatte dieser Tage den Terminus erstmals für die Rebellenregionen verwendet. So wurden jene Gebiete in der Südostukraine und in Süd-Russland Ende des 18. Jahrhunderts bezeichnet, die Moskau zuvor den Osmanen abgenommen hatte. Offiziell eingegliedert in das Zarenreich wurden sie erst Jahre später. Russische Hurra-Patrioten holten den Begriff gleich zu Beginn der Kämpfe in der Ostukraine im April aus der Mottenkiste, inzwischen operieren damit auch putintreue Medien. Währenddessen haben russischen Behörden eine Gruppe von Soldatenmüttern, die Auskünfte über die vermutete Präsenz Moskauer Truppen in der Ostukraine verlangten, als »ausländische Agenten« eingestuft.
Putins jüngste Erklärung macht aus Sicht von Beobachtern deutlich, dass Moskau Hoffnungen auf eine Verfassungsreform in der Ukraine, mit der sich diese zum Bundesstaat erklärt, offenbar abgeschrieben hat. Nicht zuletzt, weil angesichts der eskalierenden Kämpfe zwischen pro-russischen Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen, bei denen es bereits über 2000 Tote und fast eine Million Flüchtlinge gab, der Fortbestand der Ukraine als Staat in seinen derzeitigen Grenzen immer weniger Chancen hat. Zwar erklärte auch Außenminister Sergei Lawrow, Russland sei an einem Zerfall der Ukraine nicht interessiert. Putins Auslassungen dagegen lassen vermuten, dass er ein Szenario favorisiert, das schon in Moldaus abtrünniger Slawenregion Transnistrien zum Einsatz kam. Russland unterstützt dort zwar die Separatisten, seit diese sich Anfang der 1990er Jahre für unabhängig erklärten, erkennt die Region jedoch - anders als Georgiens Abspaltungen Südossetien und Abchasien - diplomatisch nicht an. Und man gibt auch dem offiziellen Ersuchen auf Beitritt zur Russischen Föderation nach dem Beispiel der Krim nicht statt. Transnistrien hat wie die Krim keine Landverbindung zu russischem Gebiet.
Russland, so warnte der unabhängige Politikwissenschaftler Stanislaw Belkowski schon im Frühjahr, müsse einen Korridor durch die Südukraine schlagen, um beide Regionen auf Dauer halten zu können. Damit würde Kiew den Zugang zum Schwarzen wie zum Asowschen Meer verlieren; Kriegsschiffe der NATO könnten ukrainische Häfen dann nicht mehr anlaufen. Ziel der Großoffensive, die die Separatisten jetzt starteten - nach eigener Darstellung mit militärischer Unterstützung Moskaus - ist das strategisch wichtige Mariupol mit überwiegend russischsprachiger Bevölkerung.
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