Ein neues Ventil für die Verdrossenheit

Der Wahlerfolg der »Alternative für Deutschland«, die 14 Abgeordnete im sächsischen Landtag stellt, setzt die CDU im Freistaat unter Druck

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.
Die AfD ist neuer Hoffnungsträger für die sächsischen Protestwähler. Die CDU will sie »entzaubern«. Offen ist, wie weit sie zu diesem Zweck selbst nach rechts rückt.

Für ihre Siegesfeier am Wahlsonntag in Sachsen hatte sich die »Alternative für Deutschland« (AfD) die Dresdner Festung ausgesucht. Diese liegt nicht nur geografisch günstig in Sichtweite des Parlamentsgebäudes am Terrassenufer. Vielmehr sollte die Ortswahl auch eine Anspielung sein: Man wollte die »Festung Landtag« erobern.

Das ist auf beeindruckende Weise gelungen. 159 547 Wähler setzten ihr Kreuz bei der Partei; angesichts einer desaströs niedrigen Wahlbeteiligung reichte das für 9,7 Prozent. Zeitweise sah es gar nach einem zweistelligen Ergebnis aus. »Ein Wahnsinn«, kommentierte etwas atemlos die 39-jährigen Landeschefin Frauke Petry. Im künftigen Landtag wird ihre Truppe nun 14 Abgeordneten stellen - nur vier weniger als die SPD und immerhin sechs mehr als die Grünen.

Aus heiterem Himmel kam der Erfolg nicht; er war absehbarer als der ähnlich furiose Triumph der NPD vor zehn Jahren. Schon bei den Wahlen zu Bundestag, Europa- und Kommunalparlamenten hatte sich Sachsen als Hochburg der AfD erwiesen, mit starken Bastionen vor allem in der Lausitz. Dort trumpfte sie erneut auf; in Dürrhennersdorf erhielt sie 33,6 Prozent. Doch selbst im urbanen Dresden kam sie locker auf 8,2 Prozent.

Ihren Erfolg dürfte die Partei zwei Faktoren verdanken. Zum einen gibt es in Sachsen seit Jahren das, was der DGB-Vize Markus Schlimbach »flottierende Protestwähler« nennt: Menschen, die einen wie auch immer motivierten Unmut über die Politik oder ihre Verunsicherung über Veränderungen der Gesellschaft ausdrücken, indem sie »Denkzettel« bei Wahlen verteilen. Davon profitierten in der Vergangenheit die NPD, zu einem gewissen Grad auch die PDS - und bei der Wahl 2009 die FDP, die mit dem Protestgestus auf zehn Prozent und in die Regierung kam. Damit aber taugte sie nicht mehr als Ventil für Verdrossenheit; Wähler wendeten sich statt dessen in Scharen der AfD zu. 18 000 Sachsen, die 2009 die Gelben gewählt hatten, gingen zu den Blauen; dazu 13 000 Ex-Wähler der NPD - und auch 15 000 von den LINKEN.

Immerhin 33 000 Stimmen jedoch griff diese bei enttäuschten Wählern der CDU ab. Geschickt hatte die AfD, die einst nur als »eurokritisch« apostrophiert wurde, im Wahlkampf auch Themen wie Innere Sicherheit - nicht zuletzt an der Grenze - und Zuwanderung, aber auch den Mangel an Polizisten und Lehrern aufgegriffen und mit teils rechtspopulistischen Thesen ein bürgerlich-konservatives Klientel angesprochen, dem die seit 24 Jahren regierenden CDU zu satt, zu müde oder zu weichgespült ist. »Unser Programm«, sagt Petry, »ist entstanden in Abgrenzung zur CDU.« Viele AfD-Politiker wie Uwe Wurlitzer, der Generalsekretär, hatten einst deren Parteibuch. Zu einem guten Teil ist die AfD in Sachsen tatsächlich Fleisch vom Fleische der Union.

Zu den spannendsten Fragen der sächsischen Politik in den nächsten Monaten gehört daher, wie die CDU auf diese Entwicklung reagiert. Am Wahlabend hatte es sehr lange gedauert, bis Ministerpräsident Stanislaw Tillich ausschloss, seine neue Regierung mit AfD-Hilfe zu bilden. Er setzte den Eiertanz aus dem Wahlkampf fort und stellte die bei Kenntnis des AfD-Programms groteske Frage, ob diese überhaupt rechts von der CDU einzuordnen sei. Erst, nachdem in der Berliner Runde der CDU-Bundesgeneralsekretär Peter Tauber eine Koalition ausgeschlossen hatte, rang sich auch Tillich zu einer klaren Absage durch. Man suche einen Koalitionspartner, mit dem man etwas für das Land erreichen könne: »Mit Sicherheit zählt dazu die AfD nicht.«

Seit Montag wird abgewiegelt: Die AfD sei eine »Modeerscheinung«, sagt CDU-General Michael Kretschmer bei »MDR Info«. Weil sich ihre Lösungsansätze als nicht praktikabel herausstellen, werde sie sich »relativ schnell entzaubern« - eine Hoffnung, die sich freilich schon in anderen Fällen als trügerisch erwies. Offen ist, wie weit die sächsische CDU zum Zwecke der »Entzauberung« selbst nach rechts rückt - und ob sie beispielsweise den Kurs in Sachen Zuwanderung weiter verschärft. Schon jetzt rühmt sich der Freistaat, bundesweit Spitze bei Abschiebungen zu sein.

Kretschmer setzt freilich auch noch auf eine andere Karte: die, dass die junge, unerfahrene und zugleich von hohen Erwartungen getriebene Partei quasi von selbst zerfällt. Die Hoffnung ist nicht unbegründet; schon bis jetzt war die Geschichte der AfD auch in Sachsen von Zerwürfnissen, Intrigen, Austritten und Rauswürfen geprägt. Zwei Schatzmeister warfen hin; das Amt ist derzeit nicht besetzt. Landesvize Thomas Hartung musste zurücktreten, nachdem er sich beleidigend über Behinderte geäußert hatte. Und gegen Sören Oltersdorf, Ex-Kreisvorstandsmitglied in Dresden, läuft ein Ausschlussverfahren, weil er durch Besuche bei NPD-Veranstaltungen für Aufsehen sorgte.

Ein interner Zwist bei der AfD beschäftigte noch kurz vor der Wahl sogar Sachsens Verfassungsgericht. Der ehemalige Bautzner Kreischef Arvid Samtleben wollte die Zulassung der AfD zur Wahl kippen, weil er unter seltsamen Umständen von der Landesliste gestrichen worden war. Nach Hartungs Abgang stand er auf Platz 14, der für ein Mandat gereicht hätte. Die Verfassungsrichter entschieden vorige Woche, Samtleben könne erst gegen die vollzogene Wahl eine Wahlbeschwerde einlegen. Eine solche soll bereits formuliert sein.

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