Wie ein bizarrer »Tatort«
Christine Haderthauer tritt wegen Modellauto-Affäre zurück / Viele mögliche Nachfolger
Am Schluss schiebt sie den Schwarzen Peter noch mal den Medien zu: »Nach den Erfahrungen mit der öffentlichen Berichterstattung«, so Christine Haderthauer bei ihrem Rücktritt am Montag in München, sei ein ordentliches Arbeiten für sie als bayerische Staatsministerin nicht mehr möglich. Das war das Ende eines steilen politischen Aufstiegs, das die Ingolstädterin vor allem dem Wohlwollen von CSU-Chef Horst Seehofer, Wohnort Ingolstadt, verdankte. Jetzt ist die Partei auf Personalsuche: Wer eignet sich für die Aufgabe, die CSU auch für moderne, junge Frauen in den Großstädten als wählbar erscheinen zu lassen?
Und darüber hinaus geht es um die Begrenzung eines fortgesetzten Imageschadens der sich quasi als »Staatspartei« gebenden CSU. Versenkte Milliarden der BayernLB, die regelwidrige Beschäftigung von Familienmitgliedern durch Landtagsabgeordnete, jetzt die Modellbauaffäre: Die Staatsanwaltschaft ist fleißig mit Ermittlungen im CSU-Milieu beschäftigt. In Bayern werden die Gaunereien der »Großkopferten« als Beweis für schlitzohrige Geschäftstüchtigkeit durchaus mit einem bewundernd-distanzierten Grummeln kommentiert, doch der Fall Haderthauer könnte diesmal diesen Akzeptanzrahmen sprengen.
Ist er doch im Grunde so bizarr, dass er einem Drehbuch für eine durchgeknallte »Tatort«-TV-Folge entsprungen sein könnte. Da gibt es einen dreifachen Mörder in einer geschlossenen Abteilung, der nicht nur zum Freund des gegen ihn ermittelnden Polizeibeamten wurde, sondern auf diversen Freigängen auch die Familie seines ehemaligen Klinikarztes besucht, man trinkt Wein. Der behandelnde Klinikarzt lässt von diesem Mörder nun in der Klinik hochwertige Modellautos bauen und verkauft diese zusammen mit seiner Ehefrau und anderen Geschäftspartnern über eine eigens dazu gegründete Firma. Manche der Exemplare sollen einen Erlös von mehr als zehntausend Euro erzielen, der psychisch kranke Produzent bekommt einige hundert Euro. Das Ganze spielt sich in einem akademischen Milieu ab, in dem weder der Arzt Hubert Haderthauer noch seine Ehefrau mit eigener Rechtsanwaltskanzlei von Hartz IV leben müssen. Am Ende wird die inzwischen zur bayrischen Spitzenpolitikerin avancierte CSU-Frau von der Modellbau-Geschichte eingeholt.
An das Tageslicht kommen die Verhältnisse rund um die Modellautofirma dabei nur scheibchenweise. 1988 wurde der dreifache Sexualmörder Roland S. zu lebenslanger Haft und Unterbringung verurteilt, im Maßregelvollzug lernt er den Assistenzarzt Hubert Haderthauer kennen. Ab 1990 baut Roland S. Modellautos, Haderthauers Frau Christine wird Teilhaberin der Firma Sapor Modelltechnik, über sie werden die Autos verkauft.
2004 überträgt Christine Haderthauer nach ihrem Einzug in den Landtag ihren Firmenanteil an den Ehemann. Vier Jahre später wird sie Sozialministerin, Hubert Haderthauer - inzwischen Landgerichtsarzt in Ingolstadt - verkauft die Firma. 2011 meldet sich der nach Darstellung der Haderthauers jahrelang nicht erreichbare Geschäftspartner Roger Ponton und verlangt eine Abfindung für seinen Anteil. Die Parteien einigen sich auf 20 000 Euro. 2013 berichtet die Presse über die Modellauto-Geschäfte, im Mai 2014 erstattet der ehemalige Geschäftspartner Betrugsanzeige, die Haderthauers sollen ihn bei der Abfindung um rund 30 000 Euro geprellt haben. Im August 2014 leitet die Staatsanwaltschaft München II förmliche Ermittlungen wegen Betrugsverdachts gegen die Staatskanzleichefin ein. Gegen ihren Mann wurde bereits vorher ermittelt.
Schließlich verlangt die Opposition im bayerischen Landtag den Rücktritt der Staatsministerin und beruft eine Sondersitzung der Abgeordneten noch vor Ende der Sommerpause für 16. September ein. Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses wird angekündigt, die SPD legt zwei Rechtsgutachten vor, wonach Frau Haderthauer auch noch 2008 Mitinhaberin der Firma gewesen sei. Am 1. September tritt Christine Haderthauer als Leiterin der Bayerischen Staatskanzlei und Staatsministerin für Bundesangelegenheiten und Sonderaufgaben zurück.
Die Opposition aus SPD, Grünen und Freien Wählern besteht nun auch nach dem Rücktritt geschlossen auf der beantragten Sondersitzung des Landtags. »Eine zeitnahe parlamentarische Aufbereitung in einer Sondersitzung ist eine demokratische Selbstverständlichkeit nach der 14 Monate andauernden Staatsaffäre«, sagte SPD-Landtagsfraktionschef Markus Rinderspacher am Dienstag.
Die SPD fordert zudem von Regierungschef Horst Seehofer, auf eine Nachbesetzung zu verzichten. »Der Ministerpräsident sollte Frau Haderthauers Geschäftsbereich im Sinne schlanker Strukturen einem anderen Kabinettsmitglied zuschlagen«, so Rinderspacher. In CSU-Kreisen wurden am Dienstag vor allem zwei junge Staatssekretäre als Nachfolger gehandelt: Georg Eisenreich (Kultus) und Albert Füracker (Finanzen/Heimat). Genannt, aber für unwahrscheinlicher gehalten, wurde auch der heutige Umweltminister Marcel Huber, der das Amt in der Regierungszentrale schon einmal hatte. CSU-Europagruppenchefin Angelika Niebler ist nach Angaben aus Parteikreisen dagegen aus dem Rennen - sie wolle ihr neues, wichtiges Amt in Brüssel behalten. Mit dpa
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