Aufnahmestopp für neue Flüchtlinge
Landesamt für Gesundheit und Soziales schließt bis Montag die zentrale Erstaufnahmestelle
Das Wort »dramatisch« nimmt Sozialsenator Mario Czaja (CDU) nur selten in den Mund, das sagt er selbst. Seit diesem Mittwoch ist jedoch klar, dass dem Senat die Flüchtlinge, die in der Stadt eine Zukunft suchen, langsam über den Kopf wachsen. An diesem Mittwoch hat das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) seine zentrale Erstaufnahmestelle schließen müssen, die die ankommenden Flüchtlinge weitervermittelt oder unterbringt.
Allein in den letzten beiden Tagen habe es über 1000 Vorsprachen in der Einrichtung gegeben. 200 davon waren Erstantragsfälle, für die allein das Land Berlin zuständig ist. »Die Mitarbeiter sind heute Morgen an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen, sodass wir uns entschlossen haben, die zentrale Aufnahmestelle zu schließen«, sagt Czaja auf einer eilig anberaumten Pressekonferenz. Die Übermittlung der Menschen in andere Bundesländer sei zurzeit quasi unmöglich, sagte der Senator, da auch dort die Behörden bereits an ihre Grenzen stoßen.
Allein in den Monaten Juli und August gab es laut Senat über 1000 Antragsteller, während das Bundesamt für Migration in seinen Prognosen für 2014 von 700 bis 800 Fällen für Berlin im Monat ausgegangen war. 1145 Flüchtlinge, hauptsächlich aus Syrien, Serbien und Bosnien und Herzegowina hat Berlin im August aufgenommen und untergebracht, rechnet der Sozialsenator vor.
In der zentralen Erstaufnahmestelle arbeiten rund 30 Mitarbeiter, im gesamten Asylbereich etwa 100. Ein erheblicher Teil davon fällt momentan wegen Krankheit aus, wie Claudia Schütz, Abteilungsleiterin für Soziales im LAGeSo erklärt. »Es fehlt ein geeignetes Personalkonzept. Die Zahl der geleisteten Überstunden in der Behörde ist inakzeptabel«, sagt Hakan Taş, flüchtlingspolitischer Sprecher der LINKEN im Abgeordnetenhaus. Als Konsequenz aus der personellen Situation ist nur noch eine »menschenunwürdige Politik im Schnellverfahren« möglich, so Taş. Auch die Personalratsvorsitzende des Amtes ist besorgt. »Die Beschäftigten im Asylbereich brauchen dringend Unterstützung«, sagt Astrid Weigert. Zwei Kollegen hätten bereits ihren sicheren Job im öffentlichen Dienst aufgegeben, weil sie der Arbeitsbelastung nicht mehr standhalten.
Beim LAGeSo wird unterdessen in einer neu gegründeten Projektgruppe über zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten beraten. Die Idee ist, bis November 2000 Plätze in Wohncontainern zu schaffen. Diese sollen dann aber nicht nur Flüchtlingen, sondern auch der Kälte- und Wohnungshilfe zur Verfügung stehen. Um dem akuten Platzmangel zu begegnen, will der Senat außerdem ungenutzte Hallen zu Unterkünften umfunktionieren. Auch vom Bund forderte Czaja am Mittwoch Unterstützung. Dieser könne dem Land Berlin Grundstücke aus seinem Portfolio für den geplanten Aufbau von etwa sechs bis acht Containerdörfern überlassen, genauso wie Flächen der Deutschen Bahn. »Ich unterstütze, dass der Senat Druck auf den Bund ausübt«, sagt der Berliner Piratenabgeordnete und Flüchtlingssprecher seiner Fraktion, Fabio Reinhardt. »Insgesamt laufen aber alle Maßnahmen auf eine Absenkung der Unterbringungsstandards hinaus und das, obwohl die Menschen einen Rechtsanspruch auf eine adäquate Unterkunft haben.«
Am Montag soll die Erstaufnahmestelle im LAGeSo wieder regulär geöffnet sein und das Personal aufgestockt werden. Bis dahin, so hofft der Senat, kommen diejenigen, die in den nächsten Tagen vor verschlossenen Türen stehen, bei Unterstützern oder karitativen Einrichtungen unter.
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg musste am Mittwochnachmittag eine Haushaltssperre verkünden. Einer der Gründe sind die hohen Kosten für den Umgang mit der ehemals von Flüchtlingen besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.