»Elektro muss befreien«
Die norwegische Künstlerin Sandra Kolstad auf der Berlin Music Week
nd: Woran arbeitest du gerade?
Sandra Kolstad: Ich stehe kurz davor, mein neues Album rauszubringen. Also drehe ich gerade die Musikvideos dazu und bereite alles für das Release vor. In Deutschland erscheint es am 6. Oktober. Aber ich habe auch schon angefangen, mein nächstes Album zu schreiben.
Deine Videos sind ziemlich außergewöhnlich. Beteiligst du dich mit eigenen Ideen an ihnen?
Ja, total. Manche Regisseure würden vielleicht sagen, zu viel (lacht). Nein, wirklich. Ich habe immer sehr genaue Ideen und Meinungen, wie ein Video aussehen soll. Ich arbeite auch mit tollen Regisseuren zusammen. Ich meine, so findet man die Leute, mit denen du zusammenarbeitet – man ist auf derselben Wellenlänge. Es ist toll, wenn sie meinen Songs eine ganz neue Dimension geben. Das neue Video wird auch wieder spektakulär. Wir drehen auf Island, und während des Songs verwandele ich mich in einen Alien.
Du sagst, Natur ist eine große Inspiration für dich. Jetzt bist du vor einigen Jahren nach Berlin umgezogen – wo es mehr Beton als Bäume gibt. Hat das deine Musik verändert?
Städte sind ja auch Natur, Landschaften. Berlin hat großartige Landschaften, auch wenn sie aus Gebäuden bestehen. Das einzige, was ich vermisse, ist der Ozean. Deswegen gehe ich auch jedes Jahr für zwei, drei Monate zurück nach Norwegen. Ins Haus meiner Eltern, das ist direkt am Meer.
Du bist klassische Pianistin. Was kann klassische Musik elektronischer geben?
Ja, ich habe bei einem norwegischen Komponisten studiert. In klassischer Musik gibt es sehr reiches harmonisches Material. Es ist sehr intelligente Musik auf eine Art, die sehr komplex ist. Ich denke nicht, dass Musik kompliziert sein muss. Aber ich werde sehr inspiriert, wenn ich komplexe Dinge höre oder sehe. Als Pianistin spiele ich sehr gern Beethoven, Brahms und auch die russischen Komponisten.
In deinen Videos hast du immer sehr extravagante Kostüme an, in denen du auch mal komisch oder hässlich aussiehst. Wie wichtig ist es, gut auszusehen im Musikbusiness?
Die kommerziellen Kräfte im Musikbusiness kreieren ein bestimmtes Bild, wie Künstler auszusehen haben, besonders weibliche. Dagegen wehre ich mich sehr. Ich versuche, mit nichts an mir in dieses Bild reinzupassen – denn ich denke, das ist schrecklich. Es verletzt Menschen und beeinflusst ihr Leben negativ. Es geht dann ja nicht nur darum, wie Künstler aussehen sollten, sondern Frauen allgemein. Ich hasse das. Also ist es ein absolut politische Sache für mich, mich nicht in den üblichen Bildern der visuellen Popkultur zu zeigen. Aber ein großer Teil meiner Videos und Show ist auch, dass die Musik so aussehen soll, wie sie klingt.
Du lebst seit vier Jahren in Berlin – die erste Verliebtheit ist also vorbei. Welche negativen Seiten hat Berlin?
Ja, Berlin hat viele unschöne Seiten. Aber das tolle ist, dass sie nicht versteckt werden. Das mag ich. Es ist keine polierte Stadt. Du siehst verfallene Häuser, um die sich keiner kümmert. Du siehst Menschen, die auf der Straße leben. Und niemand versucht, das zu verstecken. In Oslo haben wir eine ganz andere Politik. Dort versucht man, arme Menschen aus der Stadt zu vertreiben. Das ist schrecklich. Als Gesellschaft haben wir doch eine Verantwortung. Es gibt eben Menschen, die arm sind. So funktioniert unser Modell Kapitalismus. Er macht einige Menschen arm. Berlin ist da ehrlicher. Das ist auch ein Grund, warum ich die Stadt so mag. In meiner Straße zum Beispiel öffnet in einer Woche ein Café, in der nächsten schließt es wieder. Ideen zerbrechen hier ständig, auch Träume, Lebenswege. Aber dann dürfen neue wachsen, und man fängt wieder von vorne an. Das ist das Dynamische an Berlin.
Du machst sehr tanzbare Musik. Sie wird dort gespielt, wo Menschen tanzen und Spaß haben. Aber gleichzeitig machst du engagierte Statements in deinen Liedern. Würdest du dir wünschen, dass Elektro politischer wird?
Das betrifft ja nicht nur Elektro, sondern alle Genres. Aber es gibt auch viele – besonders weibliche – Musiker, die jede Menge Statements machen. Zum Beispiel Planningtorock, die ebenfalls in Berlin lebt und fantastische und politische elektronische Musik macht. Oder Jenny Wilson, eine schwedische Künstlerin. Auf der anderen Seite muss etwas auch nicht voller Botschaften sein, um politisch zu sein. Disco zum Beispiel ist so wichtig gewesen für die Gay-Community – ohne eigentlich selbst politisch zu sein. Elektronische Musik ist am besten, wenn sie in irgendeiner Form befreiend ist. Ganz klar ist sie für Berlin besonders wichtig. Hier, wo die meisten Clubs entlang der Spree liegen, deren Ufer jetzt bebaut werden. Dieser Kampf um ihre Existenz gibt der Musik noch einmal eine neue politische Dimension.
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