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Unter Verdacht
Im Kino: »A Most Wanted Man« von Anton Corbijn, brisanter Spionagethriller und letzter Film mit Philip Seymour Hoffman
Die erste Einstellung zeigt eine karge Hamburger Kaimauer, trübes Wasser spült gegen die Wand mit der rostigen Leiter. Dann ist die Hand da. Der Arm. Die Kapuze. Das zerzauste Haar lugt darunter hervor. Das dreckige Gesicht. Der Vollbart. Issa Karpov. Tschetschene. 26 Jahre alt. Illegal eingereist. Wahrscheinlich Dschihadist. Der Mann aus dem Nichts. Woher die Geheimdienste von seiner Ankunft wissen? Kurz darauf wird Karpov jedenfalls bereits totalüberwacht. Dutzende Augenpaare sind auf ihn gerichtet oder vielmehr: auf die Monitorbilder, die Fotos, die Dokumente, die über ihn zusammengetragen werden. Um zu wissen, wer dieser Mensch ist, muss man ihm ein Profil geben; da ist jeder Baustein willkommen.
Hamburg, eine der Keimzellen der Terroranschläge vom 11. September 2001, ist in der Zeit danach in höchster Alarmbereitschaft. Die Angst, noch einmal zu versagen, sitzt den Nachrichtendiensten und den Behörden im Nacken. In der Hansestadt, die Fremde über Jahrhunderte hinweg mit offenen Armen aufnahm, wie es einmal heißt, herrscht nun eine Atmosphäre des Misstrauens und des Verdachts. Erst recht trifft das auf die hier operierenden Geheimdienste zu, deren Kerngeschäft im Misstrauen gründet - auch gegeneinander. Offiziell kooperieren sie miteinander, tatsächlich aber stehen sie unter dem Konkurrenzdruck, schnelle Fahndungserfolge im »Kampf gegen den Terror« zu liefern.
»A Most Wanted Man«, basierend auf John le Carrés auf Deutsch unter dem Titel »Marionetten« erschienenen Roman, ist ein Spionagethriller, dem aber einige Spezifika dieses Genres fehlen. Gerade diese Abwesenheit von moralischer Eindeutigkeit und furioser Action zeichnet den stillen, aber latent explosionsgefährdeten Film aus. Der niederländische Regisseur Anton Corbijn, der sich als eigenwilliger Meister der Pop- und Rockfotografie einen Namen gemacht hat und erst 2007 mit dem starken Spielfilm »Control« im Kino debütierte, weiß die Ambivalenzen der literarischen Vorlage hervorragend ins Bild zu setzen. Schon Corbijns Fotografien sind äußerst unzureichend beschrieben, wenn man sie als schwarz-weiß bezeichnet, denn dieser Künstler kennt viele Schattierungen. Im Film führt er die erzählerische Ausleuchtungsarbeit mit anderen Mitteln fort, indem er auf die Kraft metaphorischer Bilder und manipulativer Dialoge setzt.
Nicht zuletzt konnte Corbijn auf eine exzellente internationale Besetzung in der ersten Reihe (Grigoriy Dobrygin, Rachel McAdams, William Defoe, Robin Wright u.a.) und eine nicht minder fähige deutsche in der zweiten Riege bauen (Nina Hoss, Kostja Ullmann, Martin Wuttke u.s.f.). Lediglich Daniel Brühl bleibt so konturlos und blass, wie er als Schauspieler nun einmal ist. Ganz und gar getragen aber wird der Film von Philip Seymour Hoffman in der Rolle des deutschen Agenten Günther Bachmann - eines einsamen Wolfs, der so warmherzig auf der Klaviatur der menschlichen Psyche zu spielen versteht wie auf den Tasten des Pianos in seiner unaufgeräumten Junggesellenwohnung. Dieser vom Leben gezeichnete, kettenrauchende und Whisky trinkende Fettwanst mit grauem Strubbelkopf ist es, um den sich alles dreht - weil er eine Mission verfolgt, nicht nur einen Auftrag.
Hollywood-Star Hoffman spielt diesen Bachmann als Stein in der Brandung, den schwerlich jemand dazu bewegen wird, mit dem Strom zu schwimmen. Es ist aber ein Stein, der von weichem Moos überwuchert ist, über das man am liebsten fortwährend mit der Handfläche streichen würde. Dieser Charakter versteht es, jene »Marionetten«, die er für sein Spiel benötigt, geschickt zu führen - und die Tatsache in den Hintergrund zu drängen, dass er selbst an den Fäden höherer Mächte hängt. Kontinuierlich bindet er die Schicksale der anderen an sich. Er ist es, der die Stricke zu einem dicken Tau verknüpft, das erst am Ende reißt. »A Most Wanted Man« ist der letzte Film, den Philip Seymour Hoffman zu Ende drehen konnte. Am 2. Februar 2014 wurde der Oscar-Preisträger (»Capote«) tot in seinem New Yorker Appartment aufgefunden.
Bachmann ist der Kopf einer kleinen Antiterror-Einheit, die jenseits der Ränder des Legalen operiert, aber mit staatlicher Duldung. Ihr Hauptquartier ist eine Hamburger Garage, in deren Inneren sich auch eine aus undurchsichtigen Glasziegeln gemauerte Verhörzelle befindet. Die von Bachmanns Leuten hierher Verschleppte ist die Menschenrechtsanwältin Annabel Richter (Rachel McAdams) - ein blonder Engel, der Issa Karpovs Rechte vertritt. Der Tschetschene, über dessen Rücken sich die blutigen Spuren der Folter ziehen, die ihm in russischer Haft zugefügt wurden, hatte in Hamburg Unterschlupf bei einer türkischen Familie gesucht. Verfolgt von vielen Seiten, war er dort nicht länger sicher. Annabel Richter hat ihm deshalb Privatasyl gewährt, im geräumigen Loft ihres Bruders. Um den Draht zu Karpov wieder aufnehmen zu können, hat Bachmann die gutmeinende Frau entführen lassen. Es gelingt ihm, sein Opfer von seiner Mission zu überzeugen - und sie in Dienst zu nehmen. Wenn sie ihren nichtsahnenden Mandanten Issa Karpov dort fortan mit Essen und Informationen versorgt, tut sie das im Auftrag des geschmeidigen Agenten.
Denn im Gegensatz zu seiner kantigen Kollegin von der CIA (Robin Wright) und seinen deutschen Vorgesetzten - von denen Herbert Grönemeyer, der die Filmmusik schrieb und in zwei kurzen Szenen auch auftritt, einer ist - will Bachmann den mutmaßlichen Terroristen nicht um jeden Preis hinter Gitter bringen. Für ihn ist Karpov nur der Köder, mit dessen Hilfe er einen wesentlich größeren Fisch an die Angel bekommen will. Seit längerer Zeit ist Bachmann nämlich einem wohltätigen und wohlhabenden islamischen Gelehrten auf den Fersen, der, um Gelder für seine Stiftung einzuwerben, in Hamburger Hörsälen sanfte Reden über den friedliebenden Islam hält. Bachmann indessen liegen deutliche Indizien dafür vor, dass ein Teil der Gelder, die Dr. Faisal Abdullah (Homayoun Ershadi) in humanitäre Hilfsprojekte zu stecken vorgibt, bei militanten Dschihadisten landet, die damit Waffen kaufen. Um Beweise gegen Abdullah zu sammeln, hat Bachmann sich auch dessen Sohn Jamal (Mehdi Dehbi) gefügig gemacht.
Durch Karpovs Auftauchen eröffnen sich dem Agenten neue Möglichkeiten. Denn der Tschetschene ist nach Deutschland gekommen, um das Vermögen seines Vaters aufzuspüren, das auf einer englischen Privatbank in Hamburg deponiert ist. Jener Vater, ein sowjetischer Offizier, hatte Karpovs Mutter vergewaltigt, als sie 15 war. Und er hat durch Waffen- und Drogengeschäfte über zehn Millionen Euro angehäuft, die in den Tresoren des Bankhauses schlummern. Aus diesem Geld gedenkt Bachmann nun die Schlinge zu knüpfen, in der Abdullah sich verfangen soll. In der Rolle des lauteren Bankerben, von dessen Bilanzen aber die schmutzigen Machenschaften seines korrupten Vaters nicht zu tilgen sind, glänzt Willem Dafoe. Für Bachmann ist es ein leichtes, ihn zu erpressen und zur Kooperation zu zwingen. Alles, so scheint es, läuft nach seinem Plan. Doch in dem Moment, da die so unterschiedlichen Interessenfäden aller Protagonisten endlich in seiner Hand vereint sind, schlägt der Staat zu, um sie zu kappen.
Regisseur Corbijn hat einen Film mit vielen Ebenen geschaffen, der es unmöglich macht, Sympathie und Antipathie auf seine Protagonisten zu verteilen. Jeder belastet mit seiner eigenen Geschichte, handeln sie alle nach bestem Gewissen und im Rahmen ihrer Fähigkeiten. Es ist ein Film, der das Verstehen des Anderen lehrt - und das genaue Hinsehen. Wie Corbijn kleinste Details inszeniert - die Bläschen in Bachmanns Cognacglas, den Zeiger einer tickenden Uhr - das ist ein visueller Genuss.
»A Most Wanted Man«, brisant und höchst aktuell, ist ein überaus sehenswerter Film. Wegen des großartigen Philip Seymour Hoffman, als dessen Vermächtnis der Streifen nun in die Filmgeschichte eingehen wird. Aber nicht nur seinetwegen.
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