Verordnete Harmonie

Thüringens Ministerpräsidentin und CDU-Frontfrau Christine Lieberknecht hat ihre Partei im Griff und will unbedingt: weiterregieren, ihren Wahlkreis gewinnen und der Linkspartei die Premiere verderben

  • Esther Goldberg
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Wahl in Thüringen ist umkämpft. Von links macht sich Bodo Ramelow auf, erster Ministerpräsident der Linkspartei zu werden. Die Amtsinhaberin hält dagegen und will diese Premiere verhindern.

Oskar hat es gut, sagt Großmutter Christine. Ihr dreijähriger Enkel durfte nämlich ins Cockpit eines Mähdreschers. Dort wäre sie auch gern gewesen. Doch sie hat keine Zeit. Schließlich ist Thüringens CDU-Ministerpräsidentin im Wahlkampfmodus. »Und ich will auch Ministerpräsidentin bleiben«. Das ist einer jener klaren Sätze, mit denen sich die erste Frau Thüringens derzeit umgibt. Sie schließt die Finger ihrer rechten Hand, der Nachdrücklichkeit wegen. Nein, eine Faust ist das nicht. Dafür sieht die Geste zu elegant aus. Aber kraftvoll ist dieses Symbol dennoch. Genau so, kraftvoll also, will sie sich im Land zeigen. Kraftvoll und mit Stil. »Dieser Wahlkampf ist mein Jungbrunnen, ich gehe gern auf andere Menschen zu«, versichert die 56-jährige Lieberknecht.

Dennoch kosten diese Auftritte Kraft. Lieberknecht will nichts dem Zufall überlassen. »Thüringen steht heute anders da als 2009«, ist sie überzeugt. Gespräche mit Journalisten während dieser Tage haben immer auch ein paar unterschwellige Botschaften über das blühende Land. Sie gibt solche Botschaften geschickt und manches davon sind tatsächlich sichtbar. Die Entschuldigung der Regierungschefin bei den Angehörigen der Opfer der NSU beispielsweise. Da ist nichts gespielt. Und: »Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses ist für mich eher eine Zwischenbilanz«, versichert Lieberknecht. »Wir werden die ganze Wahrheit erfahren«, ist sie überzeugt und setzt auf die Staatsanwaltschaft.

Damit sie nicht während der vielen Veranstaltungen im Wahlkampf ermattet, hat sie bewusst abgenommen. Kilo um Kilo. »Jedes Pfund, das ich nicht auf die Waage bringe, ist ein gutes«, sagt sie im Frühjahr dieses Jahres. Ab Aschermittwoch, dem Beginn der Fastenzeit, hat sich Lieberknecht Vernunft verordnet, wo vorher Schlemmerei war. Wer es mit Mitte Fünfzig schafft, zehn Kilo abzunehmen, ist willensstark. Und Lieberknecht wirkt hoch konzentriert. Sie scheint pure positive Energie. »Ich will«, sagte sie zu Beginn der Fastenzeit. »Ich will«, spricht sie immer noch. Sie nimmt ihre Gewichtskorrektur als Gleichnis für den 14. September. Symbolik hat in der Politik eine nicht zu verachtende Bedeutung.

»Bei Frauen wird in der öffentlichen Wahrnehmung anders hingesehen als bei Männern«, reagiert Christine Lieberknecht lakonisch auf Üblichkeiten im Politikbetrieb. Auch der Handschlag morgens um drei Uhr an der Bar ist nicht ihre Welt. Solche Vereinbarungen nennt sie Seilschaften. Das Wort »Netzwerke« fällt. Die hat sie nicht? Oh doch. Vielleicht nicht an der Bar. Wohl aber in ihrer Partei. In der CDU grummelt es zwar mitunter, wenn die Chefin etwas sagt. Doch wirklicher Widerstand ist es nicht. Oder zumindest nicht mehr und schon gleich gar nicht vor den Wahlen. Sie hat Harmonie verordnet. Manche haben ihr eine so große mentale Stärke nicht zugetraut. Doch es ist nicht nur Gottvertrauen, das die Theologin Entscheidungen treffen lässt. Es ist, unter anderem, einiges an Empathie, das sie - ganz im Stillen - Dinge tun lässt, die ihr den Erfolg sichern.

Als sie 2009 nach den Landtagswahlen Dieter Althaus beerbt hatte, musste sie bis zum dritten Wahlgang warten, ehe sie tatsächlich als Ministerpräsidentin des Landes vereidigt werden konnte. »Ich hatte mit den drei Wahlgängen gerechnet«, sagt Lieberknecht. Keine Spur von Frust. Grummeln vielleicht, aber das geht niemanden etwas an. Nichts lässt darauf schließen, wie sehr sie möglicherweise diese Dusche eigener Abgeordneter verletzt hat. Stattdessen beschreibt sie, warum sie die Vereidigung ihres Kabinetts ohnehin von der ersten Tagesordnung des neuen Landtags hat streichen lassen. »Wie sich gezeigt hat, war das klug.« Die Regierungschefin lächelt. Sie hat damals bewiesen, dass man gut daran tut, sie nicht zu unterschätzen. Im dritten Wahlgang schließlich hat ihr 2009 Bodo Ramelow (LINKE) geholfen, indem er sich als Gegenkandidat aufstellen ließ. »Das muss ein Oppositionspolitiker tun«, zuckt sie mit den Schultern. Gewählt worden wäre sie ohnehin. So aber bekam sie eine satte Mehrheit. 55 von 88 Stimmen.

»Ich stehe für einen unaufgeregten Politikstil.« Das hat sie mit Angela Merkel gemeinsam. Wie auch andere Parallelen sich nachgerade aufdrängen: Was Merkel für Kohl war, wurde Lieberknecht für Althaus. Widersacher kamen in die zweite Reihe. Vielleicht schmeicheln solche Vergleiche der thüringischen Ministerpräsidentin. Falsch sind sie dennoch nicht. Christine Lieberknecht weiß, dass Wetten abgeschlossen wurden, wie lange die Koalition von CDU und SPD in Thüringen wohl halten werde. »Das ist mir egal.« Sie hatten ohnehin allesamt unrecht.

Christine Lieberknecht könnte sich die Fortsetzung der Koalition vorstellen. Dann mit Heike Taubert (SPD) als Vize. Aber auch ein Zusammengehen mit den Grünen schließt Lieberknecht nicht aus. Baden-Württembergs grünen Ministerpräsident Winfried Kretschmann jedenfalls lud sie ein, mit ihr den Rennsteig, Thüringens berühmten Höhenwanderweg, zu gehen. Obwohl er öffentlich gemault hatte, dort gäbe es nur langweilige Fichten. Sei es drum.

Von einer möglichen Koalition mit den LINKEN indes will sie nichts wissen. »Der Zentralismus, den die Linken wollen, ist für Thüringen nicht machbar«, sagt sie. »Auch die vier Großkreise und die Abschaffung des Landesverwaltungsamtes sind nicht akzeptabel.« Die Absage ist eindeutig.

Sie will mit eigenem Gewicht gewinnen. Pfunde runter, Prozente rauf. Unbedingt. Die CDU in Thüringen kennt die Oppositionsbank nicht. Lieberknecht will keine Premiere. Obwohl viele an einen politischen Wechsel glauben. Ramelow als erster Ministerpräsident der LINKEN in Deutschland. »Ich will Ministerpräsidentin bleiben«, reagiert sie.

Regieren findet sie spannender als Talkshows. »Es ist nicht klug, zu jedem Thema nur um der Präsenz Willen in Erscheinung zu treten«, beschreibt sie ihre Zurückhaltung der ersten Regierungsjahre. Vielleicht wäre sie sonst ja auch dazu befragt worden, warum sie Ruhegelder für ehemalige Staatssekretäre so lange gutgeheißen hat. »Ich habe auf der Grundlage von Recht und Gesetz gehandelt, aber nicht gesehen, dass diese Gesetze nicht mehr zeitgemäß waren«, sieht sie inzwischen selbstkritisch die Ereignisse um Ex-Regierungssprecher Peter Zimmermann und Ex-Staatskanzlei-Chef Jürgen Gnauck. Das sagt sie jetzt gern. Schließlich gibt es nun ganz strenge neue Festlegungen und Anwendungsvorschriften für solche Gelder. »Da können sich andere Länder ein Beispiel nehmen.« Es klingt ein bisschen triumphierend. Sieg statt Niederlage. Zumindest in der eigenen Wahrnehmung.

Ihr Büro in der Staatskanzlei befindet sich in der ersten Etage. Aus ihrem Fenster kann sie auf eine Kirche sehen und auf einen Spielplatz. Auf ein Café und auf eine Straßenbahn-Haltestelle. Alles ist überschaubar. So gefällt es ihr. Sie hat noch nie auch nur überlegt, anderswo als in Thüringen zu leben und kennt beinahe jede der 847 Gemeinden im Land. Etwa Nödenitzsch im Altenburger Land. Das war spannend, sagt sie. 70 Menschen und eine uralte Eiche und viel Geschichte. Sicher, Berlin gefällt ihr auch. Aber dort sieht sie nicht ihre politische Zukunft. Ihren Wahlkreis im Weimarer Land will sie direkt gewinnen. Sie hat kurz gezögert, das sofort zuzugeben. Aber es stimmt doch. Sie will.

Manchmal wird sie immer noch auf den Weimarer Brief angesprochen. Den hat sie gemeinsam mit drei anderen Kirchenleuten aus der DDR-CDU am 10. September 1989 nach Berlin geschrieben. Heute, 25 Jahre später, findet sie die Diskussion darum, ob das mutig gewesen sei und ob man nicht habe wissen müssen, dass die Stasi irgendwie mitgeschrieben haben könnte, müßig. Von Mut aber spricht sie nicht. Das überlässt sie anderen. Keiner wird ernsthaft behaupten wollen, bereits am 10. September vor 25 Jahren vom Ende der DDR am Jahresende gewusst zu haben.

Kommenden Samstag wird Christine Lieberknecht mit ihrer Enkelin Resi deren Schulstart in Ramsla feiern. Dort ist ihr Zuhause. Auch der sieben Monate alte Bruno wird dabei sein und sein großer dreijähriger Bruder Oskar.

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