Pech im Unglück
TV-Tipp: In »Refugees« begleitet Arte bis Weihnachten Flüchtlinge in ihre weltweiten Lager
Es gibt alltägliche Privilegien, die sind so normal und gewöhnlich, dass man sich ihrer Bedeutung immer mal wieder bewusst werden sollte. Fließendes Wasser zählt dazu. Strom aus der Steckdose. Oder Papiere mit dem richtigen Stempel. »Dank unseres Reisepasses«, sagt Martin Middlebrook zu einem Mann, der keinen hat, geschweige denn fließend Wasser, Steckdosenstrom oder Sicherheitsgefühle, »sind wir privilegiert«. Und das, fügt der Fotoreporter vor einer Holzhütte im Süden Asiens hinzu, »ist einfach nur Glück«.
Einfach. Nur. Glück. Auf diese drei Worte lässt sich zuspitzen, was Arte ab Samstag zeigt. Einfach nur Glück, den richtigen Pass zu besitzen, entscheidet in einer zusehends unruhigen Welt maßgeblich darüber mit, ob man arm ist oder reich. Behütet oder gefährdet. Hungrig oder satt. Ob man reisen darf oder nicht. Ob man mithin einer von gut 7,2 Milliarden Menschen ist, die unter verschiedensten Bedingungen Heimaterde bewohnen. Oder zu jenen 50 Millionen zählt, die sie verlassen mussten. Die auf der Flucht sind. Pech im Unglück.
Refugees, so lautet der englische Begriff für jene Entwurzelten, die den kriegerischen, klimatischen und, ja, sozialen Krisen ihres Lebensmittelpunktes in die Ferne entkommen. Und jene 50 Millionen, von denen die zuständige UNO-Sektion UNHCR derzeit ausgeht, dürften nur ein grober Schätzwert sein, messbar allenfalls in organisierten Lagern. Solchen wie Beldangi.
Hier beginnt das bimediale Filmprojekt des Kulturkanals. Je vier Regisseure, Fotografen, Schriftsteller und Comiczeichner skizzieren vier der provisorischen Unterkünfte in vier Regionen der Erde. Doch Beldangi zeigt gleich zu Beginn, dass das mit dem Provisorium so eine Sache ist. Als das politisch unberechenbare Königreich Bhutan seine nepalesische Minderheit 1992 gewaltsam in die Heimat ihrer Ahnen vertrieb, wurde das Urwaldcamp eigentlich als Übergangsstation errichtet. Zwei Jahrzehnte später allerdings zeigt sich die globale Umgang mit Flüchtlingen in seiner inhumanen Absurdität: Vom Empfängerstaat nur geduldet, von Einheimischen verachtet, von den Behörden entrechtet, vom Leben ringsum abgeschnitten, fristen sie auch in Nepal ein Dasein im kargen Niemandsland, das sie nur mit Erlaubnis verlassen dürfen.
Und die kriegt dort kaum jemand. Auch nicht Shreejana und Sandhiya. Um den beiden Teenagern ein besseres Leben als sich und seiner Frau zu ermöglichen, hat sich ihr Vater Dhan Bahadur daher um vier Plätze im »Resettlement«-Programm beworben, das die bhutanischen Flüchtlinge in Drittstaaten vermittelt. Zum Auftakt des Themenschwerpunktes »Refugees« begleitet der oscarprämierte Filmemacher Régis Wargnier die Familie auf ihrer Odyssee in die USA. »Let My People Go« ist eine einfühlsame, bildgewaltige, nie larmoyante, zugleich schonungslose Reportage vom Verschiebebahnhof globaler Einzelschicksale im Sperrfeuer aus Hunger, Krieg und Menschenrechtsverletzungen. Gefolgt von der Fotodokumentation Martin Middlebrooks (20.9.). Ergänzt durch die Eindrücke der Literatin Fatou Diome (27.9.). Erweitert im Netz um eine Comicreportage des Zeichners Nicolas Wild.
Doch die Geschichte könnte im Grunde überall spielen. Beispielsweise in ähnlichen Camps Nordiraks, Libanons, des Tschad, von denen die drei weiteren Folgen bis Weihnachten handeln. Aber auch nähere, viel nähere. In Deutschland zum Beispiel, wo das Flüchtlingsrecht nicht erst seit dem Asylkompromiss von 1993 zum Gnadenakt verkommen ist. Wo Residenzpflicht, Gutscheinversorgung, Arbeitsverbote, radikales Ressentiment und bürgerliche Gleichgültigkeit alles daran setzen, den Aufenthalt der Bewerber zur Hölle zu machen.
Genau das ist die Wunde, in der »Refugees« noch nicht mal tief genug bohrt: Flüchtlinge sind nicht bloß jene in den endlosen Zeltstädten auf kargen Wüstenböden, von denen die »Tagesschau« nur berichtet, falls das Elend mal wieder katastrophale Bilder liefert; Flüchtlinge gab es immer. Überall. Deutsche selbst waren zuletzt vor 25 Jahren welche - und fanden seinerzeit begeisterte Aufnahme im Westen des geteilten Landes.
»Let My People Go«, Arte, 13.9., 17.05 Uhr
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.